Er war am mutmasslich grössten Bankbetrug in Indien beteiligt. Kurz bevor der Fall aufflog, setzte sich der Geschäftsmann ins Ausland ab. Nun wurde er in Belgien verhaftet.
Netflix hat sich des Betrugsfalls in der Doku-Reihe «Bad Boy Billionaires» bereits angenommen. Hollywood könnte folgen. Das Wirken und die Flucht der beiden Strippenzieher des bisher mutmasslich grössten indischen Bankbetrugs wären mehr als eine Steilvorlage. Es handelt sich um indische Diamantenhändler, die mit fiktiven Verkäufen nicht nur die Werte seltener Edelsteine in die Höhe trieben, sondern die auch über Jahre von der zweitgrössten indischen Bank, der Punjab National Bank (PNB), Kredite erschlichen.
Als der Betrug 2018 aufflog, war der Schaden fast zwei Milliarden Dollar hoch. Der Staat musste darauf die PNB stützen. Zu diesem Zeitpunkt war Mehul Choksi bereits längst nicht mehr in Mumbai. Er hatte sich zuerst in die USA, dann auf die Karibikinsel Antigua abgesetzt. Von dort erwarb er eine sogenannte Investoren-Staatsbürgerschaft – er bezahlte also eine beträchtliche Summe für einen Pass des Staates Antigua und Barbuda. Das Land weigerte sich darauf, Choksi nach Indien auszuliefern.
Am Montag wurde der Diamantenhändler in Belgien verhaftet, wo er sich angeblich wegen einer Krebserkrankung behandeln liess. Vor wenigen Wochen wurde er dort gesichtet. Nun hat die belgische Polizei zugegriffen.
Lange Liste mit Vorwürfen
Die Liste der Vorwürfe an den 65-jährige Choksi ist lang: Geldwäsche, Korruption und mehrfacher Betrug stehen darauf. Bevor er sich aus dem Staub machte, war er einer der grössten Diamantenhändler in Indien. Ihm gehörte unter anderem die inzwischen liquidierte Gitanjali Group, die nicht nur mit Diamanten handelte, sie schliff und polierte, sondern der auch 4000 Schmuckgeschäfte in ganz Indien gehörten.
Choksi hatte schon vorher einen zweifelhaften Ruf in der Diamanten-Hochburg Surat nördlich von Mumbai. Dort werden 90 Prozent aller weltweit gehandelten Diamanten geschliffen. Choksi stammt aus einer dieser wenigen weltweit vernetzten Familien, die seit Generationen das Geschäft in Surat dominieren. Es basiert auf Vertrauen und Diskretion.
Im Gegensatz zu den anderen Händlern, heisst es, sei Mehul Choksi einer gewesen, der seinen Reichtum gezeigt habe. Er trug teure Anzüge und protzte mit einer Jacht. Geschäftspartner und Schmuckmodels soll er immer wieder nicht bezahlt haben. Als der Betrug aufflog, war man zumindest in Surat wenig erstaunt.
Ein einfacher, aber raffinierter Betrug
Der Betrug war simpel und gleichzeitig raffiniert. Zusammen mit seinem Neffen Nirav Modi – nicht mit Indiens Premierminister Modi verwandt – erhielt Choksi während sechs Jahren fast drei Dutzend Kredite von ausländischen Banken. Für diese Kredite haben aber nicht die beiden Geschäftsmänner gehaftet, sondern die Punjab National Bank. Möglich war das durch ein Kreditkonstrukt: Die indische Bank stellte jeweils einen sogenannten «letter of undertaking» aus, eine Verpflichtungserklärung für eine bestimmte Summe, und hielt dafür als Sicherheit Bargeldkonten. So zumindest die Theorie. Mit diesen Verpflichtungserklärungen kommen indische Geschäftsmänner günstiger an Dollars oder andere Devisen.
2016 fiel einem neuen Bankangestellten der PNB erstmals auf, dass es diese Bargeldkonten gar nicht gab. Später stellte sich heraus, dass mehrere Bankangestellte und Mitarbeitende von Choksi bei diesem Betrug mitmachten.
Choksis Geschäftspartner und Neffe, Nirav Modi, wurde bereits 2019 in London verhaftet. Er wehrt sich seit Jahren aus dem Gefängnis heraus gegen eine Abschiebung mit dem Argument, er würde in Indien keinen fairen Prozess erhalten.
Modi machte ab 2010 international Schlagzeilen, weil er so gut wie aus dem Nichts eine internationale Schmuckmarke aufbaute und damit zunächst Erfolg hatte. Ab 2015 wurden Gerüchte verbreitet, dass er sich den Aufbau der Luxus-Schmuckmarke Nirav Modi durch Betrug finanzierte. Sie stellten sich später als wahr heraus. Im Zuge der Untersuchungen wurden auch Schweizer Bankkonten gesperrt, die Modi, seinem Onkel Choksi oder anderen Familienmitgliedern gehörten.