Angreifer der Baloch Liberation Army stoppten einen Passagierzug in einer entlegenen Bergregion. Sie fordern von der Regierung die Freilassung politischer Gefangener. Andernfalls würden sie die Geiseln erschiessen, drohen sie.
Pakistan wird regelmässig von Terroranschlägen erschüttert, doch einen solchen Angriff hat das Land noch nicht erlebt: Bei einem Überfall auf einen Passagierzug im Westen Pakistans wurden am Dienstag über 400 Passagiere von separatistischen Rebellen als Geiseln genommen. Die Angreifer der Baloch Liberation Army (BLA) zwangen den Jaffar Express in einer entlegenen Bergregion von Belutschistan zum Halten, wie lokale Medien berichteten. Nach einem Feuergefecht mit Sicherheitskräften verschleppten sie Dutzende Passagiere in die Berge.
Die Angreifer hätten die Lokomotive gegen Mittag auf dem Weg zwischen Quetta und Peshawar mit Raketen beschossen, berichtete die Zeitung «Dawn» unter Berufung auf Vertreter der Eisenbahn. In anderen Berichten hiess es, die Angreifer hätten die Bahnlinie gesprengt und den Zug damit zum Entgleisen gebracht. Der Angriff ereignete sich in einer schwer zugänglichen Bergregion nahe dem Bahnhof Mushkaf, wo die Bahnlinie mehrere Brücken und Tunnel passiert.
Neben dem Lokomotivführer wurden bei dem Überfall auch acht Mitglieder der Bahnpolizei an Bord des Zuges getötet. Unter den Passagieren waren laut den Medienberichten neben Männern, Frauen und Kindern auch mindestens 80 Soldaten. Als nach mehreren Stunden Verstärkung der Sicherheitskräfte eintraf, kam es erneut zu Gefechten. Dabei seien 27 Angreifer getötet und über 150 Geiseln befreit worden, berichtete der Sender Radio Pakistan am Mittwoch.
Die Zahl der Angriffe in Belutschistan ist stark gestiegen
Zu dem Angriff bekannte sich die Baloch Liberation Army (BLA). Die separatistische Rebellengruppe, die für zahlreiche blutige Selbstmordanschläge auf die Sicherheitskräfte verantwortlich zeichnet, hat ihre Aktivitäten in Belutschistan zuletzt stark ausgeweitet. So stieg die Zahl ihrer Angriffe im vergangenen Jahr um knapp 120 Prozent. Nach den pakistanischen Taliban (Tehreek-e-Taliban Pakistan, TTP) ist die BLA zur grössten Bedrohung der Sicherheit in Pakistan geworden.
Belutschistan ist die ärmste und am wenigsten entwickelte Provinz Pakistans. In der Wüstenregion an der Grenze zu Iran und Afghanistan sind seit Jahrzehnten bewaffnete Separatistengruppen aktiv. Sie werfen der Zentralregierung in Islamabad vor, die Provinz zu vernachlässigen und die lokale Bevölkerung nicht an den Erlösen aus den örtlichen Gasvorkommen zu beteiligen. Die Regierung reagiert seit Jahren mit Repression und hat zahlreiche Kritiker verschwinden lassen.
Neben Polizei und Armee richteten sich die Angriffe der Separatisten auch vermehrt gegen chinesische Arbeiter, die im Rahmen von Pekings Seidenstrassen-Initiative in der Provinz aktiv sind. China hat in den vergangenen Jahren Milliarden Dollar in die Entwicklung des Tiefseehafens Gwadar und den Ausbau der Verkehrswege zur chinesischen Provinz Xinjiang ausgegeben. Der wachsende chinesische Einfluss stösst in Belutschistan aber auf Ablehnung und Protest.
Die Angreifer haben noch zahlreiche Geiseln in ihrer Gewalt
Am Mittwoch war unklar, wie viele Passagiere des Jaffar Express die Angreifer noch in ihrer Gewalt hatten. Die Polizei beziffert die Zahl der Geiseln zunächst mit 35. Die BLA behauptete jedoch, sie habe 214 Personen in ihrer Gewalt. Sie drohte, die Geiseln zu erschiessen, sollte die Armee versuchen, sie mit Gewalt zu befreien. Die Gruppe bot zugleich an, sie im Tausch für inhaftierte Separatisten freizulassen. Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif erklärte jedoch, die Sicherheitskräfte würden die «feigen Terroristen» zur Strecke bringen.
Im August hatte die BLA bei einer Serie koordinierter Angriffe auf Busse und Bahnlinien binnen weniger Tage mehr als 70 Personen getötet. Damals stoppten sie auf einer Fernstrasse Busse, Lastwagen und Autos und erschossen Dutzende Insassen. Insgesamt verübte die Rebellengruppe laut dem Pakistan Security Report im vergangenen Jahr 171 Angriffe in Belutschistan, bei denen 225 Personen getötet wurden.
Auch der Jaffar Express wurde in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Anschlägen mit Todesopfern. Der Schnellzug der Pakistan Railways verkehrt seit 2003 täglich zwischen Quetta und Rawalpindi. 2017 wurde er bis Peshawar verlängert. Für die Strecke von 1632 Kilometern braucht der Jaffar Express über 34 Stunden.
Seit der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan im August 2021 ist die Gewalt in den pakistanischen Grenzregionen stark angestiegen. Die Regierung in Islamabad, die die Taliban über Jahre im Kampf gegen die prowestliche Regierung in Kabul unterstützt hatte, wirft den Islamisten vor, auf ihrem Territorium Rückzugslager von Terrorgruppen wie der TTP zu dulden. Dies hat zu einem Zerwürfnis zwischen den Nachbarn geführt. Um den Jahreswechsel flog Pakistans Luftwaffe sogar Angriffe auf angebliche Lager von Terroristen jenseits der Grenze.