Viele Parkinsonpatienten haben Mühe mit Loslaufen. Sie wirken dann wie eingefroren. Forscher eines ETH-Spin-offs haben einen Weg gefunden, wie man ihnen helfen kann, die Füsse zu heben. Ein Beitrag aus der Rubrik «Hauptsache, gesund».
Mein erster Impuls war nicht sehr positiv. «Nein, nicht schon wieder Werbung für ein Gesundheitsprodukt», dachte ich, als ich die Mail sah. Es ging um einen Schuh. Nicht gerade das, was mich normalerweise elektrisiert. Doch meine Neugier war grösser als meine Skepsis. Wahrscheinlich auch, weil die Mail von einer Kollegin kam, die ich schätze.
So begann ich zu lesen. Mein zweiter Impuls war dann deutlich positiver. «Wow, das ist ja richtig interessant», dachte ich jetzt. Ein Hightech-Schuh, der bei der Parkinsonkrankheit hilfreich sein kann. Auf Videos sah ich, wie Patienten mit dem Schuh besser und flüssiger laufen. Wie ist das möglich? Und was hat ein Schuh mit einer degenerativen Krankheit zu tun, bei der im Hirn ein Botenstoff fehlt?
Mein Interesse war geweckt. Erst recht, als ich ein paar Tage später die Schuhe beim Hersteller Magnes in Zürich selber ausprobieren konnte. Das Spin-off der ETH Zürich hat das ungewöhnliche Medizinalprodukt in den letzten fünf Jahren entwickelt. Die beiden Firmengründer und einstigen Nanorobotik-Forscher Olgac Ergeneman und George Chatzipirpiridis erzählen im Gespräch, worum es bei ihrem Schuh geht. Denn von aussen sieht er so unspektakulär aus wie ein gewöhnlicher Sneaker. Nur der Preis – er reicht je nach Zubehör und Dienstleistungen von 1200 bis knapp 2300 Franken – lässt erahnen, dass da etwas Besonderes sein muss.
Das Besondere findet sich im Innern des Schuhs. So sind in der Sohle neben einem Prozessor auch zehn Sensoren verbaut. Diese können über dreissig Signale im dreidimensionalen Raum detektieren. Damit lässt sich der Gang des Schuhträgers exakt vermessen. Von der Schrittlänge, Gehgeschwindigkeit und zurückgelegten Distanz bis zur Balance und Symmetrie beim Gehen: Alles wird in Echtzeit und kabellos aufs Handy oder einen Computer übermittelt und mithilfe von KI-Algorithmen analysiert.
So können Ärzte bei ihren Patienten mit Schwierigkeiten beim Gehen den komplexen Bewegungsablauf studieren. Damit aber nicht genug: Was den Schuh laut den Entwicklern weltweit einzigartig macht, ist das eingebaute Biofeedback. Der Schuh kann also nicht nur erkennen, wie ein Mensch läuft. Er kann ihn bei Schwierigkeiten auch unterstützen, so dass dieser besser und sicherer gehen kann.
Das macht den Schuh zu einem Therapiegerät – zum Beispiel für Parkinsonpatienten. Vielen fällt das Gehen schwer. Typisch ist der schlurfende, kleinschrittige Gang. Grosse Mühe bereitet den Erkrankten meist das Loslaufen. Oder wenn sie eine kleine Schwelle überwinden müssen. Die Füsse «kleben» dann richtiggehend am Boden, und die Patienten wirken wie eingefroren. Es wird deshalb auch von «Freezing» gesprochen.
Hier kann der smarte Schuh helfen, indem er über den ebenfalls eingebauten Aktuator gezielt Vibrationen an die Fusssohle des Patienten abgibt. Dadurch gelingt es vielen Patienten, ihre Füsse besser und schneller zu heben. Solche taktilen Reize können laut den Schuhentwicklern auch bei Patienten mit anderen neurologischen Krankheiten oder zur Sturzprävention bei Senioren eingesetzt werden. Denkbar ist sogar, dass die in «real time» durchgeführte Gang-Analyse in Zukunft dazu benützt wird, um bei querschnittgelähmten Patienten eine Rückenmarkstimulationstherapie zu optimieren.
Das alles zeigt, dass selbst ein gewöhnlich aussehender Schuh in medizinischer Hinsicht viel Interessantes bieten kann – und der erste Impuls bei einem Thema nicht immer der richtige ist. Auch Schuhe haben einen zweiten Blick verdient.
In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.
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