Ursula von der Leyen stellt sich zur Wiederwahl als Präsidentin der EU-Kommission. Ihre Chancen stehen gut, zumal eine Boykottaktion gegenüber Ungarns Ministerpräsidenten Orban ihr zusätzliche Stimmen einbringen könnte.
In dieser Woche entscheidet sich, wer in der EU in den kommenden Jahren die wichtigsten Posten innehaben wird. Am Dienstag ist bereits die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola vom neu zusammengesetzten EU-Parlament im Amt bestätigt worden. Die 45-jährige Politikerin der Europäischen Volkspartei (EVP) erhielt 562 von 699 abgegebenen Stimmen. Die Wiederwahl der Politikerin aus Malta war erwartet worden, sehr viele hatten deren Arbeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren geschätzt.
Spannender wird die Wahl für das Kommissionspräsidium am Donnerstag. Die Amtsinhaberin Ursula von der Leyen, die ebenfalls der EVP angehört, hat zwar sehr gute Chancen. Sie benötigt 361 von 720 Stimmen. Gestützt wird sie von ihrer eigenen Partei, den Sozialdemokraten und den Liberalen (Renew), die zusammen auf 401 Sitze kommen. Rechnerisch sollte es für von der Leyen also reichen. Allerdings gibt es immer Abweichler, zumal die Wahl geheim ist.
Von der Leyen schielt auf die Grünen
Rund zehn Prozent der Parlamentarier stimmten häufig nicht so, wie das die Parteistrategen vorsähen, heisst es in Brüssel. Trifft diese Einschätzung auch dieses Mal zu, wird es für von der Leyen knapp. Möglicherweise braucht sie auch Stimmen der Grünen oder von der nationalkonservativen, teilweise rechtspopulistischen Fraktion EKR.
Zumindest bei den Grünen dürfte von der Leyen mit ihrem jüngsten Schachzug gepunktet haben. Am Montagabend wurde bekannt, dass sie und die EU-Kommissare an keinen informellen Ministertreffen der EU teilnehmen wollen, sondern sich durch hohe Beamte vertreten lassen werden.
Derzeit werden die Ministertreffen von Ungarns Regierungschef Viktor Orban und dessen Kabinettskollegen organisiert. Orban hat gegenwärtig den Ratsvorsitz der EU inne, er leitet also das Gremium der Staats- und Regierungschefs.
Der Ungar ist im Rat ein notorischer Querulant. Doch besonders mit seiner jüngsten «Friedensmission» hat er für die Kommission, die meisten Regierungschefs und viele Parlamentarier den Bogen überspannt. Kaum hatte Orban Anfang Juli den Ratsvorsitz übernommen, reiste er nach Kiew, Moskau und Peking. In Gesprächen mit den Staatschefs Wolodimir Selenski, Wladimir Putin und Xi Jinping wollte er ausloten, wie ein Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland erreicht werden könnte.
Mit dieser unkoordinierten Aktion habe Orban die Einheit der EU beschädigt, sagte ein Sprecher der Kommission am Dienstag. Indem die Kommissare nun die informellen Ministertreffen boykottierten, würden sie das Signal senden, dass sie Orbans Vorgehen missbilligten.
Doch auch der EU-Sprecher gab zu, dass es sich um eine symbolische Geste handle. An den informellen Ministertreffen fallen in der Regel keine Entscheide, sie dienen vielmehr dazu, Informationen auszutauschen. An den formellen Treffen, die in Brüssel stattfinden, werden die Kommissare weiterhin teilnehmen.
Eine ähnliche Strategie haben gewisse Mitgliedsländer bereits angewendet. Vergangene Woche fand beispielsweise ein informelles Treffen der Industrieminister in Budapest statt. Bloss sieben Minister nahmen daran teil.
Orban warnt vor einer Eskalation in der Ukraine
Besonders erbitterte Gegner hat Orban im EU-Parlament. «Wir haben ein Problem mit ihm», sagt ein Abgeordneter der EVP. Laut seiner Einschätzung wird Orban auf die Gesetzgebung aber nur wenig Einfluss nehmen können. «Auf Ministerebene steht im zweiten Halbjahr nicht viel auf der Agenda», sagt der Parlamentarier. Die neue Kommission wird ohnehin erst im November die Arbeit aufnehmen.
Orban wirbelt derweil weiter. Am Montag hat er angeblich einen Brief an den noch amtierenden Ratspräsidenten Charles Michel und die Regierungschefs gesandt. Darin schreibt Orban, dass der Ukraine-Krieg in naher Zukunft eskalieren werde. Der Politiker schlägt daher vor, die diplomatische Kommunikation mit Russland wiederaufzunehmen. Ein Sprecher der Kommission meinte am Dienstag, dass man Orbans Brief nicht erhalten habe.








