Polens ukrainische Legion soll die Wende auf dem Schlachtfeld in der Ukraine bringen, doch die Exilanten-Truppe steht vor grossen Herausforderungen. Was kann sie erreichen?
Die Bilder machen sich gut: In einem Rekrutierungszentrum der ukrainischen Armee in der ostpolnischen Stadt Lublin wartet eine Gruppe junger Männer auf ein Bewerbungsgespräch mit einem Offizier. Die Ukrainer Mitte zwanzig sind motiviert, sie wollen für ihr Heimatland kämpfen und dafür eigens aus dem sicheren Polen ausreisen. «Die Heimat braucht mich», sagt ein Ukrainer in die Fernsehkamera eines polnischen Privatsenders.
1300 in Polen lebende Ukrainer haben sich bis Mitte Januar freiwillig für die ukrainische Legion angemeldet. Die Zahl stammt von der ukrainischen Armee, die gemäss einer bilateralen Vereinbarung in Lublin, unweit der polnisch-ukrainischen Staatsgrenze, ein Büro unterhalten darf.
Noch im Oktober hatte Polens Vizeregierungschef und Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz enttäuscht berichtet, die geplante Legion komme vermutlich nicht zustande, da sich bisher nur etwa 30 Interessenten gemeldet hätten. In Kiew war damals bereits von 600 Mann die Rede, was in Warschau zu grosser Verwunderung führte.
Doch dann wurde das erste Rekrutierungszentrum der ukrainischen Armee im Ausland eröffnet, und die Zahlen wuchsen rasant an, zumindest offiziell. Waren es Mitte November laut beidseitigen Angaben noch 600 Ukrainer, so sollen es kurz vor Weihnachten bereits knapp über 1000 gewesen sein, unter ihnen erstmals auch Frauen.
Die ukrainische Legion als Kompromiss
Just am Weihnachtstag meldete Wassil Swaritsch, der ukrainische Botschafter in Warschau, die erste Gruppe der ukrainischen Legion sei soeben in die Ukraine verschoben worden. Nach ihrem Fronteinsatz dürfen diese Soldaten wieder nach Polen zurückreisen, obwohl die Ausreise von Männern zwischen 18 und 60 Jahren in der Ukraine verboten ist. Diese Sonderregelung soll die Rekrutierung fördern.
Die Bildung einer ukrainischen Legion in Polen wurde bilateral Mitte 2024 geregelt. Warschau zog sich damit aus der Affäre, nachdem Kiew immer stärker darauf gedrängt hatte, dass wehrpflichtige Männer aus Polen ausgewiesen werden. Die seit Ende 2023 amtierende liberale Regierung unter Donald Tusk hatte anfangs viel Verständnis für den Wunsch des ukrainischen Staatspräsidenten Wolodimir Selenski.
Doch in Tusks Dreierkoalition und selbst innerhalb seiner eigenen Bürgerplattform (PO) kam darüber bald Uneinigkeit auf. Auch der politisch mit Tusk verfeindete Staatspräsident Andrzej Duda wich im Dezember in einem Interview mit der NZZ der Frage nach einer möglichen Ausweisung von in der Ukraine wehrpflichtigen Männern aus Polen aus.
Solche Ausweisungen wären heikel. Zum einen geniessen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine einen EU-weiten Schutzstatus, den Polen nicht einfach aushebeln kann. Zum anderen ist die polnische Wirtschaft auf die rund eine halbe Million Männer aus der Ukraine angewiesen. Bereits 2024 wurde eine Abwanderung von männlichen Ukrainern nach Deutschland beobachtet, nachdem Berlin mitgeteilt hatte, wehrpflichtige Ukrainer bestimmt nicht zurück in ihre Heimat zu überstellen.
Der Ukraine wiederum gehen die Soldaten aus, da es bisher vor allem wegen der grossen Korruption nicht gelungen ist, nachhaltig neues Personal zu mobilisieren. Es ist also naheliegend, dass die ukrainische Armee ihren Nachwuchs auch unter den im Ausland lebenden Ukrainern sucht.
Polen bildet die ukrainische Legion aus
Polen erscheint Kiew dabei als besonders vielversprechend. Nach Deutschland (rund 1,3 Millionen) beherbergt das Land mit einer knappen Million die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Doch laut den Statistiken der polnischen Nationalbank hat sich der Anteil der Männer unter den ukrainischen Flüchtlingen seit Februar 2022 von 19 auf 23 Prozent vergrössert.
Hinzu kommen mindestens eine Million Gastarbeiter aus der Ukraine, viele von ihnen sind seit Jahren in Polen und verfügen über Niederlassungsbewilligungen. Laut der Nationalbank beträgt der Männeranteil unter den Gastarbeitern 46 Prozent. Mindestens die Hälfte dieser beiden Gruppen ist zwischen 27 und 44 Jahre alt.
Wären sie in der Ukraine, würden sie also der Mobilisierung unterliegen, deren Mindestalter im Mai 2024 von 27 auf 25 Jahre gesenkt wurde. Inzwischen wird in der Ukraine gar über eine Senkung auf 18 Jahre diskutiert, worauf laut ukrainischen Medienberichten vor allem die USA unter Joe Biden gedrängt haben sollen.
Der kurz nach Neujahr vermeldete Rekrutierungserfolg der ukrainischen Legion kommt also sowohl für Kiew als auch für Warschau wie gerufen. Zum einen lassen sich weniger Ukrainer rekrutieren, als wehrfähig sind, was Polen zugutekommt. Zum anderen können auch ein paar tausend zusätzliche Soldaten an der Donbass-Front einen Unterschied machen, was der Ukraine zugutekommt. Die neuen Soldaten sollen zudem in Polen von erfahrenen polnischen und litauischen Nato-Offizieren ausgebildet werden. Warschau hat sich ebenfalls verpflichtet, die Legion auf eigene Kosten mit modernen Waffen auszustatten.
Ukrainer kritisieren Selenski, Tusk und die Legion
In der ukrainischen Exilgemeinschaft in Polen stösst die Idee allerdings auf Skepsis. «Das ist ein Werbegag Selenskis und Tusks», sagt Andri, ein aus der Westukraine stammender Gärtner, der seit zehn Jahren in Warschau lebt. «Wer würde schon freiwillig sein Leben an der Front für kaum mehr als den polnischen Durchschnittslohn riskieren, wenn er hier ruhig das Leben geniessen oder gar eine Familie gründen kann?», fragt der Mittfünfziger. Überzeugte Patrioten seien bereits 2014 freiwillig in den Donbass gegangen, nach der vollumfänglichen russischen Invasion im Februar 2022 habe sich eine zweite Welle von Patrioten gemeldet, auch aus Polen, nun aber bleibe niemand mehr übrig.
Auch sind Kiews Erfahrungen mit im Ausland ausgebildeten Formationen durchwachsen. Erst Ende 2024 kam es zu einem grossen Skandal in der 155. Brigade. Die in Frankreich und Polen ausgebildeten Truppen hätten die Verteidiger der seit Monaten von der russischen Armee bedrängten Industriestadt Pokrowsk verstärken sollen. Doch es zeigte sich, dass ein Drittel der gut 5000 Soldaten desertiert waren, bevor sie an die Front verschoben wurden. Laut dem ukrainischen Kriegsreporter Juri Butusow türmten dort noch einmal rund 200 Soldaten.
Schuld soll vor allem das schlechte Kommando gewesen sein, das den neuen Soldaten dieser als Elitetruppe konzipierten Einheit das Gefühl gab, sie würden an der Front als Kanonenfutter verheizt. Die Brigade wurde schliesslich Anfang Januar von Selenski aufgelöst und die verbliebenen Soldaten auf andere Frontbrigaden aufgeteilt. Auch dies ist indes nicht das, was den Soldaten versprochen worden war.
Laut Butusow und anderen Armee-Experten leidet die ukrainische Armee an inkompetenten Offizieren und sowjetischen Befehlsstrukturen, die Hierarchien und einen oft sinnlosen Formalismus fördern, aber ehrliche Einschätzungen verhindern. Die Lage an der Front würde oft schöngeredet und damit würden der Armeeführung wichtige Frühwarnungen vorenthalten, berichten ukrainische Medien.
Debakel wie jenes der vor allem in Frankreich ausgebildeten 155. Brigade haben das Vertrauen der Ukrainer in die Armeeführung und in Staatspräsident Selenski nachhaltig geschwächt. Der Präsidentenpalast und die Regierung der Selenski-Partei Diener des Volkes sind damit unter Druck geraten.
In dieser Situation kommt die in Polen aus Kriegsflüchtlingen und Gastarbeitern zusammengestellte ukrainische Legion wie gerufen. Diesmal soll alles besser laufen. So wird die ganze Legion – und nicht nur das halbe Bataillon – im Ausland ausgebildet.
Andere EU-Staaten sollen dem Beispiel Polens folgen
Auch Warschau kommt die ukrainische Legion gelegen, kann Polen damit doch zeigen, dass es der Ukraine zur Seite steht. Dies ist auch im nun beginnenden Präsidentschaftswahlkampf in Polen wichtig, der auf Initiative der ultrarechten Opposition bereits antiukrainische Züge angenommen hat. Das Aussenministerium hat inzwischen die EU- und Nato-Mitglieder dazu aufgerufen, dem polnischen Beispiel zu folgen.
Bisher soll erst die Tschechische Republik Interesse gezeigt haben. Tschechien hat nach Deutschland und Polen die meisten ukrainischen Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Doch ob die rund 300 000 ukrainischen Flüchtlinge in Tschechien ein ähnliches Potenzial wie in Polen entwickeln, ist fraglich.
Auch die ukrainische Legion in Polen wird basierend auf den bisherigen Erfahrungen mit neuen Sonderbrigaden die schwierige Lage der Ukraine an der Donbass-Front und den Personalmangel im Heer nicht beheben können. Es handelt sich dabei vielmehr um ein PR-Projekt, sowohl von Kiew als auch von Warschau.