Weshalb wollten so viele Top-Favoriten der Mitte doch nicht Bundesrat werden? Weil sie nicht ins VBS wollten, sagt der Kandidat Markus Ritter. Eine Problemerfassung.
Nur gerade zwei Mitte-Politiker können sich vorstellen, das frei werdende Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) zu übernehmen: Markus Ritter und Martin Pfister. Der «Knackpunkt» sei, dass es um die Spitze des VBS gehe, meint Ritter. Das Departement hat einige Baustellen, die immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Das sind die grössten:
- Das Departement: ein grosser Tanker, der modernisiert werden soll
Das VBS ist mit über 12 000 Angestellten das grösste aller Departemente. Zum Vergleich: Im Wirtschaftsdepartement arbeiten ein Sechstel so viele Personen (2270). Die verschiedenen Bereiche im Verteidigungsdepartement sind über Jahrzehnte gewachsen und funktionieren teilweise wie kleine Königreiche. Das machte etwa den Spesenskandal, der bereits vor Viola Amherds Wahl zur Bundesrätin bekannt geworden war, erst möglich. Amherd leitete daraufhin eine Untersuchung ein und initiierte diverse Reformprogramme in ihren Ämtern, mit dem Ziel, das Departement zu modernisieren. Grundlegende Transformationen gab es im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) oder im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs). Die Umstrukturierungen führten allerdings zu Unmut und blockierten die Produktivität. - Die Armee: uralte Systeme und fehlendes Material
In den letzten 35 Jahren wurde bei der Schweizer Armee massiv gespart. Neue Systeme zur Verteidigung, wie beispielsweise Panzer, wurden keine beschafft. Die Ausbildung der Soldaten stand im Vordergrund: schützen und helfen statt verteidigen. Ein Krieg in Europa schien lange nicht mehr realistisch. Diese Einschätzung änderte sich, nachdem Russland die Ukraine 2022 angegriffen hatte. Die Armee sollte wieder verteidigungsfähig werden. Doch heute mangelt es nicht nur an modernen Systemen, um den Verfassungsauftrag erfüllen zu können. Im Kriegsfall könnte nur gerade ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten vollständig ausgerüstet werden. Es gibt nicht einmal genügend Schutzwesten für alle, die Dienst leisten. Würde die Schweiz die Lücken in der Ausrüstung stopfen sowie alle alten Systeme ersetzen wollen, kostete dies gemäss der Armee rund 50 Milliarden Franken. - Der Nachrichtendienst: beschäftigt mit sich selbst
2021 entliess Viola Amherd den Nachrichtendienst-Chef Jean-Philippe Gaudin. Der ehemalige Berufsoffizier aus dem Waadtland passte offenbar nicht zu Amherds feministischer Sicherheitspolitik. Sein Nachfolger Christian Dussey sollte den NDB völlig umbauen, ihn agiler und robuster machen für die künftigen Herausforderungen. Die Abteilungen Beschaffung und Analyse fielen weg. Stattdessen wurde der NDB wieder in «Prävention» und «Globale Sicherheit» gegliedert, was ungefähr der früheren Zweiteilung mit Inland- und Auslandgeheimdienst entspricht. Aufgaben und Kaderstellen wurden neu verteilt, Teams umgestellt. Der grundlegende Umbau führte zu Unsicherheit und schlechter Stimmung bei den Mitarbeitenden. Die Produktivität stieg nicht wie erhofft durch die Transformation, sie blockierte den Dienst regelrecht. Die Kantone schlugen Alarm. Der NDB sei mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Sicherheit des Landes. Der NDB seinerseits forderte mehr Ressourcen für seine Aufgaben. Das Parlament lehnte den Antrag ab. - Die Ruag: betrügerisches System entdeckt
Der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag MRO entstand ursprünglich aus verschiedenen Rüstungsunternehmen des Bundes, quasi als Patchwork-Aktiengesellschaft. Diese einzelnen Abteilungen führten lange ein Eigenleben, auch nach der Fusion zur AG. Davon zeugt insbesondere ein Geschäft mit 96 in Norditalien eingelagerten Leopard-1-Kampfpanzern. In Zusammenhang mit dem Geschäft wird in Deutschland gegen einen früheren Mitarbeiter ermittelt, wegen Korruption. Vor Weihnachten erklärte der abtretende Verwaltungsratspräsident Nicolas Perrin, dass dies wohl kein Einzelfall sei. Er sprach von einem «systematischen Vorgehen». Bereits die Finanzkontrolle fand Mängel in der Buchführung der Ruag. Der Bundesrat will den Konzern deshalb näher an das VBS binden und die jetzige Rechtsform überprüfen. - Die Grossprojekte: Kritik und Sonderwünsche
Das VBS ist für die umfangreichsten Beschaffungsprojekte beim Bund verantwortlich. Sie umfassen ein Gesamtvolumen von 19 Milliarden Franken. Die grossen Vorhaben sind komplex, unter anderem wegen der rasanten technologischen Entwicklung. Militärische Systeme müssen Daten austauschen können und entsprechend aufeinander abgestimmt werden. Hier harzt es in einigen Bereichen. Ende Jahr schrieb die Finanzdelegation beider Räte einen Brief an die VBS-Chefin und erklärte darin, dass sie sich «grosse Sorgen» um diverse Vorhaben mache. Die «zunehmenden Verzögerungen, steigenden Risiken und unzureichenden Ressourcen» seien «beunruhigend», beispielsweise beim Projekt zur Überwachung des Luftraums. Dieses soll in die neue Digitalisierungsplattform der Armee (NDP) integriert werden. Doch die Inbetriebnahme verzögert sich, die Integration könnte trotz Zusatzkrediten von insgesamt 159 Millionen Franken nicht rechtzeitig abgeschlossen werden. Die Finanzkontrolle (EFK) sieht das Projekt NDP zwar auf Kurs, stellt aber einem anderen VBS-Grossprojekt ein kritisches Zeugnis aus. Und zwar bei den Aufklärungsdrohnen, die der ehemalige Bundesrat Ueli Maurer noch in Israel bestellt hatte. Das Projekt verzögert sich um Jahre, unter anderem wegen verspäteter Lieferung durch die israelische Firma. Doch hier gibt es auch hausgemachte Probleme: Der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag MRO soll ein Ausweichsystem entwickeln, das es so nirgendwo auf der Welt gibt. Die EFK bezweifelt, dass dieser «Swiss Finish» «in absehbarer Zeit realisierbar» sei. Das Bundesamt für Rüstung Armasuisse versichert, dass das Projekt wie geplant abgeschlossen werden könne, wenn auch deutlich später. Es entstünden jedoch keine zusätzlichen Kosten. Für künftige Beschaffungen ist für Armasuisse klar: Es soll keine helvetischen Spezialwünsche mehr geben. - Armasuisse: Beschaffungs- und Exportprobleme
Das Bundesamt für Rüstung ist zuständig für die Beschaffungen der Armee. Gegenwärtig sieht sich Armasuisse aufgrund diverser Konfliktherde mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Viele Nationen wollen nach- und aufrüsten. Entsprechend sind die Lieferzeiten lang und die Kosten hoch. Kleinstaaten wie die Schweiz, die keine grossen Mengen bestellen, müssen hintenanstehen. Dazu kommen die rigiden Exportbedingungen für Rüstungsmaterial. Für die Rüstungsindustrie hierzulande stellen sie einen Wettbewerbsnachteil dar, weshalb sich einige Firmen Alternativen zum Standort Schweiz überlegen. Diverse europäische Staaten haben bereits verkündet, keine «Swiss made»-Rüstungsgüter mehr zu bestellen. Deutschland verzichtet sogar auf Schweizer Tarnnetze. Dies, nachdem die Deutsche Regierung Munition des Fliegerabwehrpanzers Gepard an die Ukraine weitergeben wollte und der Bundesrat die Bitte mit Verweis auf die Neutralität ablehnte. Damit die Schweizer Rüstungsindustrie nicht komplett gemieden wird, begab sich der Rüstungschef Urs Loher auf eine Werbetour quer durch Europa. Er erklärt Staaten, dass die strenge Wiederausfuhrregel nur greift, wenn mehr als 50 Prozent eines Systems in der Schweiz hergestellt wurde. - Das Sepos: Minisekretariat mit begrenztem Einfluss
Das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik kümmert sich seit Januar 2024 um nichtmilitärische Kriegsführung und soll sicherheitspolitische Entwicklungen voraussehen sowie die erste sicherheitspolitische Strategie der Schweiz entwerfen. Die Verteidigungsministerin hatte ein einflussreiches neues Sekretariat mit hoher Flughöhe im Sinn. Doch nach Widerstand von diversen Seiten, die um ihren Einflussbereich fürchteten, wurde daraus ein Minisekretariat mit 22 Mitarbeitenden. Seine Entscheid- und Weisungsbefugnisse sind beschränkt. Entsprechend harzig verlief die Rekrutierung. Als Amherd endlich den langjährigen Diplomaten Jean-Daniel Ruch verpflichten konnte, stolperte dieser über seinen Lebenswandel. Die Findungskommission konnte dann den Brigadier Markus Mäder gewinnen. Dem Sepos scheint es bis heute aber an Rückhalt zu fehlen: Die Finanzdelegation des Parlaments stellte in ihrem Bericht 2023 seine Existenz infrage. - Die internationale Kooperation: unter Druck
Der Bundesrat will, dass die Schweizer Truppen mit Nato-Streitkräften üben, «unter Berücksichtigung und im Rahmen der Verpflichtungen der Neutralität». So soll die Armee beispielsweise gemeinsam Elemente des Krisenmanagements trainieren. Ebenso soll die Schweiz an zwei Pesco-Programmen teilnehmen, dem militärischen Arm der Europäischen Union. Ziel ist, von den Partnern zu lernen und ihre Arbeitsweise und Kommunikation kennenzulernen. Sollte die Schweiz angegriffen werden, fällt die Neutralität – in diesem Fall wäre das Land auf Nato-Partnerschaften angewiesen. Die Mehrheit im Parlament steht hinter einer Kooperation mit europäischen Partnern, welche die Neutralität respektieren. Widerstand kommt von der SVP, die mit ihrer Neutralitätsinitiative praktisch jede Zusammenarbeit verbieten will, sowie von pazifistischen Linken. Die Nato ist allerdings selbst unter Druck seit dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Er hat mehrfach kritisiert, Europa verlasse sich zu sehr auf die USA und investiere selbst zu wenig in das Militärbündnis. Noch immer bezahlten die USA zwei Drittel der gesamten Verteidigungsausgaben in der Nato.
Was alle diese Punkte gemein haben: Es geht auch ums Geld. Das drohende strukturelle Defizit im Staatshaushalt zwingt den Bundesrat und das Parlament zum Sparen. Das macht eine langfristige Planung der Armeeausgaben schwierig und verkompliziert Beschaffungen. Der Finanzrahmen für die Armee wurde zwar massiv erhöht, um 4 Milliarden Franken auf fast 30 Milliarden bis 2028. Aber bis heute ist nicht klar, wie der schnellere Aufwuchs finanziert werden soll. Ausserdem kann das Parlament das Budget der Armee jedes Jahr kürzen, trotz Finanzrahmen über vier Jahre. Erschwerend ist der Konkurrenzkampf innerhalb der Armee und des VBS, weil nicht alle Bereiche von den höheren Finanzen profitieren. So muss beispielsweise Armasuisse Personal abbauen.
Dazu kommt eine gröbere Vertrauenskrise. Während der letzten Monate kam es zu diversen Indiskretionen und Kommunikationspannen. Bekanntestes Beispiel ist der vermeintliche «Liquiditätsengpass» Anfang 2024. Erst die Finanzkommission brachte Aufklärung. Sie benannte auch eine der grossen Schwächen im Departement und in der Armee klar: Die Kommunikation, erklärte sie, sei «mehr als verbesserungswürdig». Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass das VBS fast 100 Vollzeitstellen mit Kommunikationsfachleuten besetzt hat.
Der neue VBS-Chef hat damit – nebst unzähligen anderen – drei zentrale Aufgaben: Er muss die Finanzierung für die höheren Armeeausgaben sichern, die Kommunikation verbessern und das Vertrauen wiederherstellen.