Der mutmassliche Komplott gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger zeigt, dass Russland seinen verdeckten Krieg in Deutschland offenbar verschärft. Dabei hat es staatlich beauftragte Morde in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder gegeben.
Nach dem offenbar vereitelten russischen Mordkomplott gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger stellen sich viele Fragen. Wie genau, zum Beispiel, haben deutsche Sicherheitsdienste den Anschlag verhindert? Woher haben die Amerikaner davon gewusst, so dass sie die Bundesregierung warnen konnten?
Die Antworten dürfte man wohl absehbar kaum erfahren, ebenso die auf eine weitere Frage: Wie wollte der Kreml den deutschen Rüstungsmanager umbringen lassen? Allerdings gibt es dafür naheliegende Arbeitshypothesen, die sich aus der Historie der Geheimdienstmorde in Deutschland in den vergangenen siebzig Jahren ergeben. Während etwa der frühere jugoslawische sowie der iranische Geheimdienst in den zurückliegenden Jahrzehnten Oppositionelle in der alten Bundesrepublik erschiessen liessen, wählten die Russen oft die vermeintlich diskretere, leisere und meist unscheinbarere Methode: Sie vergifteten ihr Opfer.
Weltweit für Schlagzeilen haben in der jüngeren Zeit zwei Fälle gesorgt, die sich in Grossbritannien zugetragen haben. Am 1. November 2006 hatte sich der ehemalige KGB-Offizier und Überläufer Alexander Litwinenko in London mit zwei ehemaligen Geheimdienstkollegen und einem russischen Unternehmer in einer Bar des Millennium-Hotels getroffen. Litwinenko hatte mehr als zwanzig Jahre für den KGB und den FSB gearbeitet und war 2003 zum britischen MI6 übergelaufen. Dort erhob er Anschuldigungen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie reichten von Pädophilie bis zu Anschlagsplänen. Der Tee, den Litwinenko damals in der Bar trank, war mit radioaktivem Polonium vergiftet. Die Bilder des sterbenden Agenten aus dem britischen Krankenhaus gingen um die Welt.
Zwölf Jahre später sollte ein weiterer russischer Überläufer im britischen Exil sterben. Am 4. März 2018 hatte ein dreiköpfiges Team des GRU das Nervengift Nowitschok aus einem Flakon auf die Türklinke des Hauses von Sergei Skripal in Salisbury getröpfelt. Der frühere KGB- und GRU-Oberst wurde später gemeinsam mit seiner Tochter leblos auf einer Bank gefunden. Beide überlebten. In den diplomatischen Beziehungen zwischen Grossbritannien und Russland herrscht seitdem Eiszeit.
Der Mord, der Bandera zum Märtyrer machte
In Deutschland haben die Vorgänger der heutigen russischen Geheimdienste schon weitaus früher damit begonnen, ihre «Zielpersonen» zu vergiften. Eines der prominentesten Beispiele ist Stepan Bandera, der in der Ukraine bis heute als Nationalheld gilt. Seine Ermordung durch den KGB-Agenten Bogdan Staschinski hat eine Vorgeschichte, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs reicht und von Russland bis heute als Beleg dafür verwendet wird, dass «das ukrainische Regime» aus Nazis bestehe.
Bandera war führender Kopf der antisowjetischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 kollaborierte diese Organisation mit den Nationalsozialisten bei der Ermordung der ukrainischen Juden. Eines der Massaker ereignete sich in der westukrainischen Stadt Borschtschowitschi, in der Bogdan Staschinski 1931 geboren wurde. Im Alter von 19 Jahren warb ihn der KGB an, schickte ihn zunächst nach Ostdeutschland, um ihn später dann im Westen zur Liquidierung der OUN-Spitzenkader einzusetzen.
Zunächst trifft es Lew Rebet, geistiger Kopf des ukrainischen Widerstands gegen die Sowjets. In dem Haus Am Karlsplatz 8 in München lauert Staschinski am 10. Oktober 1957 seinem Opfer auf und sprüht ihm im Hausflur mit einer Spitzpistole den konzentrierten Dampf von Blausäure ins Gesicht. Die Dosis ist sofort tödlich. Der Obduzent konnte bei der Untersuchung des Leichnams keine Spuren von Gewalt feststellen und schloss auf natürlichen Tod durch Herzversagen.
Gut zwei Jahre später wiederholt Staschinski dieses Muster. Erneut trägt er eine Spritzpistole bei sich, als er in der Kreittmayrstrasse 7 in München am 15. Oktober 1959 seinem Opfer Stepan Bandera auflauert. Bandera war nach Westdeutschland geflüchtet und lebt dort unter dem Namen Stefan Popel. Auch damals tobt ein verdeckter Krieg zwischen Ost und West auf deutschem Boden, nicht zuletzt ausgetragen durch Nachrichten- und Geheimdienste. Staschinski tötet auch Bandera, indem er ihm Blausäure ins Gesicht spritzt. Bandera stirbt noch im Treppenhaus. Weil es der KGB war, der ihn umbringen liess, ist er in der Ukraine heute tatsächlich das, was die Sowjets einst verhindern wollten: ein Märtyrer.
Gift als Waffe der russischen Wahl
Bekannt wurden beide Taten nicht durch nachrichtendienstliche Aufklärung des deutschen Inlandsdienstes («Verfassungsschutz») oder die Ermittlungsarbeit der Polizei. Staschinski stellte sich vielmehr zwei Jahre später selbst. Im August 1961 floh er nach Westberlin, lief zu den Amerikanern über, die ihn der deutschen Justiz übergaben. Er sagte damals aus, sich in Moskau nicht mehr sicher gefühlt zu haben. Er misstraute dem Apparat, dem er in den Jahren zuvor als Auftragsmörder wertvolle Dienste geleistet hatte. Er kam mit einer Haftstrafe von lediglich acht Jahren davon und ging anschliessend mit neuer Identität ins Ausland.
Putins Geheimdienste arbeiten bis heute mit Gift. Das zeigen nicht nur die Anschläge auf Litwinenko und Skripal. Auch die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny vor vier Jahren passt in das Muster, ebenso möglicherweise einige mysteriöse Todesfälle von Oligarchen. Nawalny war mit dem Nervengift Nowitschok in Verbindung gekommen, mit dem die Russen mutmasslich seine Unterhose oder andere Kleidungsstücke und Gegenstände kontaminiert hatten.
Mitunter wählen FSB, GRU und SWR, die drei russischen Geheimdienste, aber auch die klassische Methode: Mord durch Erschiessen. Das bekannteste Beispiel der jüngsten Zeit ist die Liquidierung von Selimchan Changoschwili im August 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin. Sein Mörder Wadim Krasikow tötete den aus Georgien stammenden tschetschenischen Rebellenkommandeur im Auftrag des FSB mit mehreren Schüssen in den Rücken. Er konnte gefasst werden, weil ihn Passanten auf der Flucht bemerkten und die Polizei alarmierten. Seitdem er im Dezember 2021 zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde, hat Russlands Präsident Putin mehrfach erkennen lassen, dass er Krasikow gern austauschen würde.
Wie viele Geheimdienstmorde es in der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat, dürfte sich kaum sicher sagen lassen. Es gehört zum Wesen dieser Taten, dass sie nicht ohne weiteres zu erkennen sind. Das zeigt sich etwa am Beispiel des Fussballers Lutz Eigendorf. Er war 1979 aus der DDR nach Westdeutschland geflüchtet und spielte dort als Profi für Eintracht Braunschweig. Am 5. März 1983 kam er spätabends mit seinem Auto von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Er starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen.
Mord durch fingierten Unfall
Alles sah wie ein normaler Autounfall aus. Eigendorf soll an dem Abend alkoholisiert gewesen sein. Doch jemand wie er, der erfolgreich aus der DDR geflüchtet war und ein neues Leben in Freiheit mit beachtlicher Profikarriere führte, konnte dem Regime in Ostberlin nicht gefallen. Schon in der Vergangenheit hatte sich der DDR-Geheimdienst, die Stasi, nicht gescheut, Morde an ostdeutschen «Staatsflüchtigen» auf westdeutschem Boden zu begehen.
Der Autounfall von Eigendorf war sehr wahrscheinlich von der Stasi fingiert. Sie soll den Wagen des Fussballers manipuliert haben. So jedenfalls berichtete es die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier im Oktober 2019 aus einem Telefonat, das sie damals mit einem ehemaligen Stasi-Mitarbeiter geführt hatte. Er soll darin gestanden haben, dass dieser Mord und weitere mysteriöse Unfälle auf dem Gebiet des früheren Westdeutschlands fingiert gewesen seien.
Ähnlich wie bei Giftmorden ist es auch bei fingierten Unfällen schwierig, einen Geheimdienst dahinter zu identifizieren. Absichtliche Tötungen werden häufig erst dann erkannt, wenn Staatsanwaltschaft oder Polizei einen konkreten Verdacht haben und entsprechende Tatortforensik zum Einsatz kommt. Bei beiden Mordarten können die Täter oft entkommen, bei beiden ist der Tatverlauf vielfach nicht mehr zu rekonstruieren. Anders war es bei einer beispiellosen Mordserie des jugoslawisch-kroatischen Geheimdienstes SDS, die in Deutschland heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Einer der besonders brutalen Fälle datiert aus dem Jahr 1983. Am 28. Juli geht der kroatische Dissident Stjepan Djurekovic in seine Garage im oberbayrischen Wolfratshausen, in der er auf einer Druckmaschine Schriften gegen das Regime des Belgrader Machthabers Josip Broz Tito herstellt. Auf ihn wartet ein dreiköpfiges Mordkommando des SDS. Die Killer liquidieren ihn mit sechs Schüssen in Rücken und Arme und zertrümmern dann mit einem Beil seinen Schädel.
20 Morde durch den jugoslawischen Geheimdienst
Djurekovic, der auch als Informant des deutschen Auslandsdienstes (BND) gearbeitet haben soll, ist eines von mindestens 20 Opfern, die der jugoslawisch-kroatische SDS zwischen 1967 und 1989 in Deutschland verursacht hat. Bei ihnen handelte es sich um kroatische Emigranten, insbesondere um Mitglieder der nationalistischen Revolutionären Bruderschaft. Alle wurden mit Schusswaffen getötet. Ihre Leichen fanden sich an Bundesstrassen, in Pensionen oder in Garagen.
Der Fall Djurekovic schlug für die kroatische Regierung viele Jahre später zurück. Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten bereits Ende der 1970er Jahre herausgefunden, wer die Auftraggeber der Mordserie sind. Einer von ihnen, der SDS-Mitarbeiter Ilija Svilar, konnte 1977 bei einer Geldübergabe an einen V-Mann in Deutschland verhaftet werden. Der andere, der Geheimdienstler Josip Perkovic, entkam damals.
Als Kroatien nach der Jahrtausendwende EU-Mitglied werden wollte, machte die deutsche Regierung ihre Zustimmung unter anderem von der Auslieferung von Perkovic und seinem früheren Geheimdienstchef Zdravko Mustac abhängig. Beide wurden ein Jahr nach dem EU-Beitritt Kroatiens an Deutschland ausgeliefert und 2016 in München wegen der Beteiligung an der Ermordung von Stjepan Djurekovic zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie sitzen ihre Strafen inzwischen in ihrem Heimatland ab, das sie von lebenslänglich auf dreissig Jahre reduzierte.
Für besonderes Aufsehen hatte auch die Ermordung von vier Exilkurden am 17. September 1992 durch den iranischen Geheimdienst Vevak in einem Restaurant in Berlin gesorgt. Beim «Mykonos-Attentat», benannt nach dem Namen des Lokals, feuerte das Mordkommando des Regimes in Teheran 29 Schüsse aus einer Maschinenpistole und einer Pistole ab. Die fünf Mitglieder des Killerteams, darunter vier Libanesen, konnten festgenommen und in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Der mutmassliche Planer des Attentats, der Iraner Kazem Darabi, erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Er wurde, wie häufig in solchen Fällen, nach fünfzehn Jahren Haft nach Iran abgeschoben, wo er als «Held der Nation» geehrt wurde.
Politische Auftragsmorde
Die Geschichte der Bundesrepublik ist reich an Geheimdienstmorden. Eine wesentliche Rolle spielte immer das Ziel, einen Gegner im Ausland einzuschüchtern, indem massgebliche Exponenten aus dem Weg geräumt werden. Geheimdienstmorde sind meist politische Auftragsmorde. Sie werden auf Entscheidung von Politikern verübt, nicht selten im Zusammenhang mit einem Krieg. Für Regime wie das von Wladimir Putin, die Gewalt zum Machterhalt einsetzen, ist die gezielte Tötung des Gegners Teil der «politischen Kultur».
Es ist daher auch nicht damit zu rechnen, dass die Bedrohung Deutschlands insbesondere durch russische, aber auch durch andere ausländische Geheimdienste so bald endet. Als der BND-Präsident Bruno Kahl vor vier Jahren im Bundestag zu den Gewalttaten fremder Dienste in Deutschland gefragt wurde, antwortete er, die Hemmungen, tödliche Gewalt einzusetzen, seien gesunken. Das war weit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Seitdem hat sich die Lage noch einmal deutlich verschärft.







