Am Montag will Pedro Sánchez über seine politische Zukunft entscheiden. Auch Neuwahlen mitten im Sommer sind nicht ausgeschlossen.
Mehrere tausend Spanier aus dem ganzen Land haben sich am Samstagmorgen vor der Parteizentrale der Sozialdemokraten in Madrid versammelt, um ihre Unterstützung für ihren Ministerpräsidenten Pedro Sánchez kundzutun. «Pedro, gib nicht auf», skandierten sie. «Pedro, hör auf uns, wir kämpfen für dich, bleibe», riefen sie in Sprechchören. Doch ob sich Sánchez dadurch beeinflussen lässt, ist fraglich. Schon lange weiss man hierzulande, dass der 52-Jährige vor allem eines ist: völlig unberechenbar.
Der Regierungschef hatte vor fünf Tagen das ganze Land in eine Schockstarre versetzt, als er in einem offenen Brief überraschend eine fünftägige Auszeit ankündigte, um über seine politische Zukunft nachzudenken. Am Montag will er bekanntgeben, ob er weitermacht oder angesichts der Angriffe gegen seine Gattin Begoña Gómez sein Amt niederlegt und Neuwahlen ausruft. Dass ein Ministerpräsident aus persönlichen Gründen zurücktritt, wäre ein absolutes Novum in Spanien.
Es wäre auch ein herber Rückschlag für die Sozialisten, denn erst vor weniger als einem Jahr erzielten sie bei vorgezogenen Neuwahlen nur mit der Unterstützung aller linken und nationalistischen Parteien eine hauchdünne Mehrheit zum Regieren. Wahlgewinner war eigentlich der konservative Partido Popular (PP), dessen Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo die meisten Stimmen auf sich vereinigte. Doch weil er ausser der rechtspopulistischen Vox keine anderen Verbündeten finden konnte, blieb er knapp unter der absoluten Mehrheit. Seither fühlt man sich im konservativen Lager um den Sieg betrogen. Entsprechend giftig ist die Stimmung, und nur so lässt sich erklären, warum die dem PP nahestehenden Medien mit derart harten Bandagen kämpfen.
Schon seit Wochen hatten sie Spaniens First Lady fast täglich angegriffen. Ohne Beweise vorzulegen, unterstellten sie der 49-Jährigen, ihre Stellung als Ehefrau des Regierungschefs für private Geschäfte genutzt und Vetternwirtschaft betrieben zu haben. Eine rechtsgerichtete Organisation namens Manos Limpias (saubere Hände), deren Vorsitzender sich früher wegen Betrug, Erpressung und Geldwäsche vor Gericht verantworten musste, brachte die Korruptionsvorwürfe gegen Sánchez’ Gattin zur Anzeige.
Überraschenderweise erklärte sich ein Richter am Madrider Amtsgericht bereit, Ermittlungen einzuleiten, obwohl die Staatsanwaltschaft nicht einverstanden war, da die Vorwürfe lediglich auf Medienberichten beruhen. Sogar bei Manos Limpias räumte man mittlerweile ein, sich in der Sache nicht ganz sicher zu sein. Schon seit Jahrzehnten macht diese Organisation immer wieder mit Anzeigen gegen Politiker zumeist im linken Parteienspektrum von sich reden. Und mehrmals musste sich ihr Vorsitzender, Miguel Bernad, wegen falscher Verdächtigungen vor Gericht verantworten.
Ein Rückzug auf Raten?
Angesichts der anhaltenden Attacken gegen seine Gattin fragte sich Sánchez in seinem offenen Brief an die Spanier, ob es der Mühe wert sei, weiter Politik zu machen. Er werde zusammen mit seiner Frau darüber nachdenken, wie es weitergehen solle. Dass er im Parlament die Vertrauensfrage stellt und mit der gleichen fragilen Mehrheit an der Macht bleibt, halten viele für ausgeschlossen.
«Die Entscheidung wird auf jeden Fall schwierig sein», schreibt die Tageszeitung «El País». Bleibe Sánchez im Amt, dürften die Anfeindungen anhalten, wenn nicht gar zunehmen. Und im Falle eines Rücktritts würde die Koalitionsregierung mit der linksalternativen Plattform Sumar ins Schwanken geraten, und innerparteiliche Machtkämpfe dürften die Partei weiter schwächen. Nun häufen sich in den letzten Tagen die Stimmen derer, die glauben, dass Sánchez zurücktreten werde.
Selbst wenn er im Amt bleiben würde, habe Sánchez mit dem Anstoss zur Debatte über die Grenzen politischer Aggression seinen Rückzug auf Raten eingeleitet, schreibt die katalanische Tageszeitung «La Vanguardia». Die zutiefst menschliche Entscheidung, zugunsten seiner Frau, mit der er zwei Töchter hat, seine Position infrage zu stellen, dürfte kurzfristig seine Sympathiewerte in die Höhe schnellen lassen, so das Blatt. Doch letztlich würden viele im Macho-Land Spanien seine Entscheidung als Zeichen der Schwäche auslegen.
Neue Chancen in Brüssel
Doch Sánchez hat in den letzten Jahren immer wieder eine erstaunliche Widerstandskraft an den Tag gelegt und sogar ein Buch darüber geschrieben, wie man Krisen übersteht. Schon vor acht Jahren glaubten viele, seine politische Karriere sei beendet. Nach zwei Wahlschlappen gegen die Konservativen musste er den Parteivorsitz niederlegen. Doch dann holte sich Sánchez nach einer Tour durch die Provinz den Posten des Generalsekretärs zurück und wurde 2018 Ministerpräsident.
Und selbst wenn es für ihn in Spanien kein zweites politisches Comeback geben sollte, hätte er Chancen im Ausland. Denn Sánchez geniesst hohe Wertschätzung in Brüssel. Laut dem Wirtschaftsmagazin «The Economist» könnte er Charles Michel, dessen Amtszeit am 30. November endet, als Präsident des Europäischen Rates beerben.