Audrey Mondjehis Leben bestand aus Rap, Gelegenheitsjobs, Kleinkriminalität und Gefängnis. Dort begegnet er dem Attentäter von Strassburg. Nun muss er für 30 Jahre hinter Gitter.
Audrey Mondjehi ist 16 Jahre alt, als er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Er beschimpft einen Beamten und muss dafür gemeinnützige Arbeit leisten. Heute ist er 42, und 24 weitere Gerichtsurteile sind gegen ihn ergangen. Wegen Diebstahls, Einbrüchen, Gewaltdelikten, Sachbeschädigungen, Beleidigung von Amtspersonen oder Fahrens ohne Führerschein, zum Teil gleich mehrfach. Mondjehi hat immer wieder mehrere Monate im Gefängnis verbracht.
Anlass zur Änderung seines Lebenswandels waren diese Strafen nicht. Im Gegenteil: Mondjehi baute darauf seinen Ruf auf. «L’1pulsif» (französisch ausgesprochen als impulsiv) lautet sein Pseudonym, mit dem er mit ein paar Kollegen als Rapper auftrat. Er gab an damit, «bewaffnet, gefährlich und mehrfach vorbestraft» zu sein. Die amateurhaften Musikclips zeigen ihn mit Kollegen in Sozialsiedlungen von Strassburg. Sie sind mit Scootern oder teuren Autos unterwegs und bisweilen von leicht bekleideten Frauen umgeben. Im Elsass, wo Mondjehi lebte, brachte er es zu einer gewissen Bekanntheit. Er nannte sich auch «die Legende des 67» – die Zahl steht für das Département Bas-Rhin, zu dem Strassburg gehört.
Eine Pistole aus dem 19. Jahrhundert
Seit ein paar Jahren ist Mondjehi auch über die Region hinaus bekannt. Er war der prominenteste von vier Angeklagten im Prozess um den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt von Strassburg vom 11. Dezember 2018, der fünf Menschen das Leben kostete und elf schwer verletzte. Der Attentäter selber, Cherif Chekatt, ist tot. Er wurde nach zweitägiger Flucht von der Polizei gestellt und erschossen.
Mondjehi und Chekatt hatten in den drei Monaten vor dem Anschlag viel Kontakt und laut Mondjehi auch immer wieder Streit. Chekatt war nach der Tat noch auf der Flucht, als Audrey Mondjehi sich bei der Polizei meldete und zugab, Chekatt nicht nur in der Nacht vor dem Anschlag beherbergt zu haben. Er habe ihm auf dessen Wunsch auch zu Waffen verholfen. Darunter war eine Pistole aus dem 19. Jahrhundert, die neben einem Messer bei dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt zur Tatwaffe wurde.
Seit Ende Februar stand Mondjehi in Paris vor Gericht. Dort sei er, so schreibt «Le Monde», sich selbst der ärgste Feind gewesen. Nicht nur weil er sich immer sehr ungeschickt ausgedrückt habe. Selbst sein Anwalt gab zu, dass sein Mandat mehrfach log, und dazu noch schlecht. Am Donnerstagabend verlasen die Richter nun das Urteil.
Mondjehi war zweier Tatbestände angeklagt. Den Vorwurf der Mittäterschaft bei terroristisch motivierten Morden liessen die Richter fallen: Es fehlten Beweise dafür, dass Mondjehi von Chekatts konkretem Vorhaben wusste. Allerdings sprachen sie ihn der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung schuldig. Sie legten ihm zur Last, dass er angesichts ihrer langjährigen Bekanntschaft hätte bemerken müssen, dass sich Chekatt radikalisierte.
Die Ermittlungen zeigten, dass Chekatt den Anschlag über Wochen vorbereitet hatte. In einem danach gefundenen Video bekannte er sich zum Islamischen Staat. Auch er war den Behörden bekannt: einerseits wegen islamistischer Umtriebe, andererseits wegen zahlreicher Delikte, wofür er im Gefängnis sass – einmal auch in der Schweiz.
Hatte Mondjehi das nicht bemerkt? War er selbst radikalisiert? Er zeigt in seinen Musikclips zwar bisweilen Nähe zum Islam. Doch bestritt er vor Gericht, je zum Islam konvertiert zu sein. Er, der mit seiner Mutter im Alter von 9 Jahren aus Côte d’Ivoire nach Frankreich kam, war christlich erzogen worden.
Schicksalshafte Begegnung im Gefängnis
Weshalb er Chekatt mit einem Waffenhändler in Kontakt brachte, konnte er vor Gericht nicht schlüssig darlegen. Er habe daran keinen Euro verdient, beteuerte er vor Gericht. Der Staatsanwaltschaft mutmasste, er habe wohl aus Narzissmus gehandelt – die Nähe zu Chekatt habe seinem Image als Gangster gedient, das er in seinen Musikvideos pflegt.
Mondjehi und Chekatt hatten sich 2012 im Gefängnis kennengelernt. Damals erschienen sie als zwei unbelehrbare Kleinkriminelle. Sie sind nicht die Einzigen, deren kriminelle Energie durch Begegnungen im Gefängnis potenziert wurde. Es ist bekannt, dass manche Haftanstalten eigentliche Brutstätten für extremistische Ideen sind. Auch Chekatt soll sich dort radikalisiert haben. Mondjehi wurde die Loyalität zu seinem alten Bekannten zum Verhängnis. Er muss für 30 Jahre hinter Gitter.