Der reichste Mann der Welt wirft Brasiliens oberstem Richter Verfassungsbruch und Zensur vor. Die Rechte um Bolsonaro freut das, die Linke verlangt mehr Verbote.
In Brasilien eskaliert der schon länger schwelende Streit zwischen dem Tech-Milliardär Elon Musk und dem Obersten Gerichtshof. Am Wochenende hat der Verfassungsrichter Alexandre de Moraes ein Untersuchungsverfahren gegen Musk eingeleitet. Die Bundespolizei soll gegen ihn wegen Behinderung der Justiz und Anstiftung zu Straftaten ermitteln.
Ausserdem soll gegen Musk auch im Rahmen der Untersuchungen gegen sogenannte digitale Milizen ermittelt werden. Diesen wird vorgeworfen, mit systematischen Falschinformationen dem mutmasslich geplanten Putschversuch des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro im Januar 2023 den Boden bereitet zu haben. Moraes leitet diese Untersuchungen. Im Rahmen dieser Ermittlungen hatte er verfügt, dass Musks Social-Media-Plattform X mehrere Konten zu sperren habe. Darunter diejenigen eines Bloggers und zweier Kongressabgeordneter – alle aus dem Umfeld Bolsonaros.
Musk beschimpft obersten Richter Brasiliens
Musk reagierte auf seine gewohnt provokative Art direkt über X: «Warum so viel Zensur in Brasilien?», postete er. Er warf Moraes vor, «dreist und wiederholt» die Verfassung verletzt zu haben und das brasilianische Volk zu hintergehen. «Moraes soll zurücktreten oder seines Amtes enthoben werden. Schande über dich, Alexandre», so beschimpfte Musk den obersten Richter.
Zudem kündigte Musk an, sich nicht an die Verordnungen der brasilianischen Justiz zu halten. Er werde die gesperrten Konten wieder freischalten. «Wir werden wahrscheinlich unsere Niederlassung in Brasilien schliessen müssen», schrieb er. «Aber die Prinzipien sind wichtiger als der Gewinn.» Für X ist Brasilien mit 22 Millionen Nutzern der sechstgrösste Markt weltweit, so die Experten für digitale Daten von DataReportal. Um diesen Markt nicht aufs Spiel zu setzen, dürfte Musk vermutlich die Konten doch wieder gesperrt haben wie von der Justiz gefordert.
Der Streit zwischen Musk und Moraes sorgt in Brasilien für politischen Zündstoff. Der Bundesrichter ist der oberste Feind der Anhänger des rechtspopulistischen Ex-Präsidenten Bolsonaro. Sie werfen ihm Zensur und diktatorisches Verhalten vor. Er missachte mit seinen Entscheidungen die Gewaltenteilung.
Die öffentliche Auseinandersetzung des Verfassungsrichters mit dem reichsten Menschen der Welt kommt dem Bolsonaro-Lager gelegen. Damit können die Anhänger des früheren Präsidenten bei der Stange gehalten werden und sich als Opfer einer politisierten Justiz darstellen. Musk sei ein «Mythos unserer Freiheit», twitterte Bolsonaro und rief zu einer Solidaritätskundgebung für sich selbst in zwei Wochen in Rio de Janeiro auf.
Die Linke um Präsident Lula verlangt Restriktionen
Bolsonaro wurde vom Wahlgericht für acht Jahre sein passives Wahlrecht aberkannt – er kann also an den zwei nächsten Wahlen nicht teilnehmen. Zudem kommen immer mehr Details über seine Verwicklungen beim Sturm auf das Regierungsviertel vor eineinhalb Jahren zum Vorschein. So ist gut möglich, dass gegen ihn bald ein Verfahren eröffnet wird und er zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Mehrere potenzielle Nachfolger Bolsonaros versuchen sich bereits in Stellung zu bringen.
Die Umgebung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wiederum setzt vor allem auf stärkere Restriktionen der sozialen Netzwerke. Jaques Wagner, Vorsitzender der Regierungsfraktion im Senat, erklärte, dass auch ausländische Unternehmen sich in Brasilien an die Verfassung halten müssten. Dennoch hat Lulas Regierung wenig Chancen, im Kongress eine strengere Kontrolle der sozialen Netzwerke durchzusetzen. Seit 2020 wird dort über ein Gesetz gegen Fake News verhandelt. 2023 wurde der letzte Vorschlag zurückgewiesen. Seitdem steckt das Verfahren fest.
Bei dem Thema sind sich die Parteien intern nicht einig. Bolsonaro verdankt seinen überraschenden Wahlsieg 2019 und seine anhaltende Popularität vor allem den sozialen Netzwerken. Auch bei den Zentrumsparteien zögern viele Politiker, die Meinungsfreiheit zu beschränken. Zudem arbeitet die Lobby der Tech-Konzerne effizient gegen Beschränkungen der sozialen Netzwerke.
Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass X in Brasilien geschlossen wird. Bisher ist die Plattform nur in Diktaturen wie Russland, Iran oder China verboten worden. Aber Auflagen sind wahrscheinlich. Für die Kommunalwahlen im Oktober dieses Jahres hat das Wahlgericht bereits mehrere Resolutionen verabschiedet, damit die Justiz effizienter vorgehen kann gegen Hassbotschaften, Fake News und den Missbrauch von künstlicher Intelligenz.