Der ehemalige österreichische Regierungschef wird zu einer Haftstrafe von acht Monaten bedingt verurteilt. Ein kurioses Manöver der Verteidigung mit zwei russischen Geschäftsmännern vermochte die Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen Thomas Schmid nicht zu erschüttern.
«Selten ist ein Fall der Falschaussage so klar gelagert gewesen», erklärte der Oberstaatsanwalt zum Abschluss des Prozesses gegen Österreichs früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitagabend. Dieser führte dagegen aus, von insgesamt 26 befragten Zeugen hätten fast alle seine Darstellung gestützt – dass er nämlich nicht selbst die Bestellung des Chefpostens bei der staatlichen Beteiligungsgesellschaft Öbag bestimmt habe, sondern der dafür formal zuständige Aufsichtsrat. Er habe nie vor den Parlamentariern lügen wollen.
Der Richter Michael Radasztics folgte indes im Wesentlichen der Argumentation der Ankläger. Er sprach Kurz sowie seinen ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen Falschaussage im sogenannten Ibiza-Untersuchungsausschuss in diesem Anklagepunkt schuldig, von anderen Vorwürfen wurden sie freigesprochen. Kurz verurteilte er zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten. Für einen Regierungschef wiege das Delikt der Falschaussage schwer, begründete der Richter das Strafmass. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, Kurz meldete sogleich Berufung an. Er empfinde den Entscheid als ungerecht und sei «sehr optimistisch» für die zweite Instanz, erklärte er.
Kurz sah sich nur informiert und nicht involviert
Konkret ging es in dem Verfahren um den Vorwurf, der ehemalige Kanzler habe seine Rolle bei der Berufung des Spitzenbeamten Thomas Schmid zum Öbag-Chef wahrheitswidrig heruntergespielt. Im Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Ibiza-Affäre antwortete der ehemalige Kanzler im Juni 2020 auf die Frage, ob er in die Entscheidung über den lukrativen Posten eingebunden gewesen sei: «Eingebunden im Sinne von informiert, ja.» Er habe Schmid auch für qualifiziert gehalten. Aber die Bestellung obliege nicht dem Bundeskanzler, sondern dem Aufsichtsrat der Öbag. Er habe auch nicht im Vorfeld darauf Einfluss genommen, sagte Kurz damals unter Wahrheitspflicht.
Die mittlerweile berühmten Textnachrichten Schmids nährten indes Zweifel an dieser Darstellung, weshalb die Korruptionsstaatsanwaltschaft im vergangenen August Anklage erhob. In zahllosen Chats zwischen dem Team des früheren Kanzlers und Schmid war von dessen künftiger Rolle die Rede, zudem zeigten sie ein Vertrauensverhältnis auf. Der damalige Generalsekretär im Finanzministerium war auch in die Ausschreibung der Stelle eingebunden, sie wurde geradezu auf ihn zugeschrieben. «Kriegst eh alles, was Du willst», schrieb ihm Kurz einmal beruhigend. «Ich liebe meinen Kanzler», antwortete Schmid.
Der ehemalige Spitzenbeamte arbeitet seit zwei Jahren vollumfänglich mit den Staatsanwälten zusammen, um Kronzeugenstatus zu erhalten. Dieser würde ihm selbst eine milde Strafe in anderen Verfahren garantieren, die sich um Postenschacher und Veruntreuung drehen. In seinen Aussagen vor Gericht belastete Schmid den einstigen Vertrauten schwer. Er beschrieb ausführlich, wie das «System Kurz» funktionierte. Als Verbündeter an einer zentralen Stelle, die auf die Zuweisung von Finanzmitteln Einfluss nehmen konnte, hatte er tatkräftig mitgeholfen, Kurz’ Aufstieg bis ins Kanzleramt zu befördern. Die Zusammenarbeit habe ihn «elektrisiert», erklärte er.
Gleichzeitig schilderte Schmid den Ex-Kanzler als Machtmenschen, der alles kontrollierte. Für wichtige Personalentscheidungen habe sich Kurz ein Vetorecht ausbedungen. Über die Aufsichtsräte der Öbag habe es «engmaschige Abstimmungen» gegeben. Es sei schlicht «denkunmöglich» gewesen, jemanden auf einen Posten zu hieven, mit dem Kurz nicht einverstanden gewesen sei. Dieser habe sich nicht nur informieren lassen, sondern mitgeredet.
Postenschacher wäre nicht strafbar – ist aber unpopulär
All das wäre nicht strafbar. Gerade in Österreich würde es auch niemanden erstaunen und vielleicht nicht einmal entrüsten. Immerhin verwaltet die Öbag staatliche Beteiligungen mit einem Gesamtwert von rund 30 Milliarden Euro. Doch ein solches Vorgehen und der insgesamt höchst unpopuläre Postenschacher passten nicht in Kurz’ Erzählung eines sauberen, neuen politischen Stils. Diese wollte der damalige Kanzler auch im Untersuchungsausschuss aufrechterhalten. Kritik zu vermeiden, sei sein Motiv gewesen, erklärte der Richter denn auch in seiner Urteilsbegründung.
Kurz sieht sich dagegen als Opfer einer politisch agierenden Justiz. Vor seinem ersten Auftritt vor Gericht beklagte er ein «Zusammenspiel von Politik und Staatsanwaltschaft». Im Untersuchungsausschuss habe eine feindliche Stimmung geherrscht, die Opposition habe versucht, ihn aufs Glatteis zu führen und dann anzuzeigen. Deshalb habe er damals vor allem formal argumentiert und darauf verwiesen, dass die Bestellung des Öbag-Chefs gar nicht in seinem Kompetenzbereich gelegen habe.
Tatsächlich ist dafür der Aufsichtsrat zuständig, der wiederum vom Finanzminister – zum fraglichen Zeitpunkt Hartwig Löger – zusammengestellt wird. Dieser wurde ebenso als Zeuge befragt wie sein Nachfolger Gernot Blümel und verschiedene Aufsichtsräte der Öbag. Sie stammen alle aus dem Umfeld des ehemaligen Kanzlers und bestätigten dessen Schilderung weitgehend: Es habe immer wieder Debatten über Personalfragen gegeben, auch mit Kurz. Er habe aber keinen Druck ausgeübt.
Das Ergebnis der zwölf Verhandlungstage waren so letztlich zahlreiche Aussagen, die Kurz entlasteten und seine Rolle in der Postenbesetzung so beschrieben, wie dieser es selbst vor dem Untersuchungsausschuss getan hatte. Demgegenüber stand das schwer belastende Zeugnis Schmids, das von Chats untermauert wird – und zudem auch den österreichischen Gepflogenheiten in solchen Fällen entspricht.
Groteske Wendung mit russischen Zeugen
Der Ex-Kanzler und sein Anwalt verwiesen mehrmals auf die vielen die Anklage entkräftenden Zeugen gegenüber einem, dem es primär darum gehe, mit seinen Aussagen den Kronzeugenstatus zu erhalten. Darüber hinaus versuchten sie Schmids Glaubwürdigkeit mit diversen Argumenten in Zweifel zu ziehen. Eine groteske Wendung: Während des Prozesses schlugen sie plötzlich zwei russisch-georgische Geschäftsleute als Zeugen vor, die den ehemaligen Spitzenbeamten angeblich für ein Ölprojekt in Georgien hatten anheuern wollen. In eidesstattlichen Erklärungen gaben die beiden an, Schmid habe ihnen in einem Bewerbungsgespräch in Amsterdam anvertraut, auf Druck der Korruptionsstaatsanwaltschaft falsch auszusagen.
Das wäre ein veritabler Justizskandal – allerdings wollten die beiden das als Zeugen vor Gericht unter Wahrheitspflicht so nicht wiederholen. Schmid habe nicht explizit gesagt, er erzähle den Staatsanwälten die Unwahrheit, sondern nur zwischen den Zeilen. Schmid hatte am Freitag Gelegenheit, zu diesen Behauptungen Stellung zu nehmen, und wies sie scharf zurück. Sie seien «vollkommener Unsinn».
Die abenteuerliche Russen-Finte war so eher kontraproduktiv. Der Richter nannte die Vorstellung, Schmid erzähle zwei völlig Fremden solches, während er gleichzeitig Kronzeuge werden wolle, «vollständig weltfremd». Schmid habe insgesamt Glaubwürdigkeit ausgestrahlt, und die Russen seien nicht geeignet gewesen, diese zu erschüttern. Es sei auch nicht wie bei einem Fussballmatch, bei dem man die Punkte zusammenzähle: Es sei nicht relevant, wie viele Zeugen einen Beschuldigten be- oder entlasteten. Wichtig sei, wie nahe sie am Geschehen seien. Radasztics folgte der Darstellung der Anklage: Der ehemalige Kanzler sei schon sehr früh und sehr direkt in den Prozess der Postenbesetzung eingebunden gewesen.
Kurz ist damit der dritte österreichische Regierungschef, der wegen einer Straftat verurteilt wurde. Der Sozialdemokrat Bruno Kreisky war einst nach der Beschimpfung des jüdischen Publizisten Simon Wiesenthal 1980 wegen übler Nachrede schuldig gesprochen worden. Sein Parteikollege Fred Sinowatz wurde 1991 ebenfalls wegen falscher Zeugenaussage verurteilt.
Die politische Bedeutung sollte für Kurz nicht überschätzt werden: Er hat sich vor über zwei Jahren aus der Politik zurückgezogen und ist inzwischen als Unternehmer tätig. Er erklärt beharrlich, keine Rückkehr anzustreben – was ihm allerdings nicht alle glauben wollen. Sollte Kurz tatsächlich solche Pläne gehabt haben, muss er sie vorerst begraben, zumal gegen ihn noch in der weit schwerwiegenderen Inserateaffäre ermittelt wird.