Putin nutzt die Unterbrechung der amerikanischen Militärhilfe gezielt aus. Dennoch zahlt er für seine zynische Strategie einen hohen Preis, der sich auch auf dem Schlachtfeld bemerkbar macht.
Russland reagiert auf Donald Trumps Forderung nach einem raschen Waffenstillstand mit den schwersten Raketen- und Drohnenangriffen seit Monaten. Alleine den letzten zwei Tagen feuerte die russische Luftwaffe 70 Raketen und Marschflugkörper sowie 339 Kampfdrohnen gegen ukrainische Grossstädte sowie Industrie- und Gasanlagen ab. Der amerikanische Präsident zeigte sich darüber verärgert: «Russland bombardiert die Ukraine höllisch», sagte Trump und drohte Moskau am Freitag erstmals in seiner Amtszeit mit weitreichenden Sanktionen.
Mit den Luftangriffen reagiert Putin aber auf die vorhergegangenen Signale aus Washington: Er weiss, dass die ukrainische Luftverteidigung besonders von der Unterbrechung der amerikanischen Militärhilfe seit Montag betroffen ist. Der Einsatz von schwer abzuschiessenden ballistischen Raketen zielt darauf ab, die ohnehin knappen Munitionsbestände für moderne Abwehrsysteme wie die Patriots zu erschöpfen. Der heftige Beschuss soll zudem die Moral der Zivilbevölkerung schwächen.
Russland kommt kaum mehr voran
Am Montag schrieb Trump auch: «Russland macht die Ukraine auf dem Schlachtfeld total fertig.» Damit liegt er aber falsch. Denn Putins neue Attacken und die Drohung der USA, die Verteidiger im Stich zu lassen, kommen zu einem Zeitpunkt, da es für Kiew an der Front deutlich besser läuft als im Herbst und im Frühwinter. Während die Ukraine in den drei Monaten zwischen September und November 2024 über 1700 Quadratkilometer an Gebiet verloren hatte, war es zwischen Dezember und Februar nur noch gut die Hälfte. Seit Jahresbeginn hat sich Russlands Vormarsch noch einmal deutlich verlangsamt.
Bezeichnenderweise ist gegenwärtig nicht der Donbass das Hauptproblem der Ukrainer, wo der Aggressor im letzten Jahr die grössten Fortschritte verzeichnete. Es ist jenes Stück Land, das Kiews Streitkräfte im letzten Sommer in der russischen Provinz Kursk erobert hatten. Moskau hat inzwischen mehr als die Hälfte davon zurückgeholt. Bisher sind alle Versuche, die Ukrainer ganz aus russischem Territorium zu vertreiben, verlustreich gescheitert – selbst mit Unterstützung durch nordkoreanische Truppen.
Doch die Lage im schmalen Streifen rund um die Stadt Sudscha ist inzwischen sehr prekär. Den Russen ist es Ende Woche gelungen, den südlichsten Teil des ukrainisch gehaltenen Gebiets fast abzuschneiden. Sie können die Hauptroute für die Versorgung der Garnison in Sudscha immer stärker unter Feuer nehmen. Mehrere hochrangige Beamte in den USA und der Ukraine führten dies gegenüber dem Magazin «Time» darauf zurück, dass Kiew von Washington keine Daten mehr über Truppen- und Flugbewegungen in Russland bekommt. Die Einheiten in Kursk kämpften fast blind.
Wie russische Blogger anmerken, hat Moskau aber jüngst auch grosse Kräfte in der Region Kursk konzentriert, um die Ukrainer zu vertreiben. Einer spricht von der Verlegung eines «erheblichen Teils der besten russischen Drohneneinheiten in diesen Abschnitt». Diese fügen den Ukrainern grosse Verluste zu. Gleichzeitig wollte Kiew mit dem Angriff auf Kursk den Feind von Anfang an dazu zwingen, Kräfte aus anderen Teilen der langen Front abzuziehen, vor allem aus dem Donbass.
Die Ukrainer setzen die Russen mit Drohnen unter Druck
Vor allem bei den Drohnen deutet viel darauf hin, dass das nun geschehen ist. Der ukrainische Generalstab und auch Kämpfer wie der Drohnenpilot Juri Lisenko in Tschasiw Jar berichten von einer erheblichen Verringerung der Angriffe in diesem südöstlichen Frontabschnitt. Lisenko führt dies auf die Verlegung von Einheiten nach Kursk zurück. Russische Kämpfer klagen derweil über die wachsende Luftüberlegenheit der Ukrainer, die mit ihren Drohnen die Logistikwege angreifen. Moskaus Armee habe zwar genug unbemannte Flugobjekte, aber es fehle an Personal. Die Piloten täten alles, um auf den Ausbildungsplätzen zu bleiben, statt zu kämpfen. «Wieso? Weil die Soldaten an der Front wie Leibeigene behandelt werden», wird ein Russe im Blog «WarTranslated» zitiert.
Die Folge ist, dass die Ukrainer Städte weiterhin halten, die Experten schon vor Monaten als verloren sahen. In Tschasiw Jar rücken die Russen seit Januar nicht mehr vor. Etwas südlich davon galt Torezk als weitgehend gefallen. Nun gibt es Berichte über heftige ukrainische Gegenangriffe im Zentrum des Ortes. Das Analyseportal Deep State Map markiert den Grossteil von Torezk als umkämpfte «graue Zone». Beide Bastionen sind wichtig für die Verteidigung der letzten grösseren Agglomeration im Donbass rund um die Städte Kostjantiniwka, Slowjansk und Kramatorsk.
Sogar leicht zurückgedrängt haben die Ukrainer ihren Gegner bei der strategisch wichtigen Industriestadt Pokrowsk. Auch diese Schlacht dauert bereits mehr als sieben Monate. Zunächst rückten die Russen rasch vor. Doch nun haben die Ukrainer im Süden der Stadt mehrere Dörfer zurückerobert. Im Gegensatz zu gewissen Analysten spricht der Oberbefehlshaber Olexander Sirski jedoch nicht von einer Gegenoffensive, sondern von einer «aktiven Verteidigung», da Russland fast viermal so viele Soldaten in der Gegend habe. Doch die Überlegenheit ist deutlich weniger drückend als noch im Frühwinter.
In keiner dieser Donbass-Städte ist die Lage für die Ukrainer entspannt. Doch die Ukrainer sind in der gegenwärtigen Kriegsphase besser ausgerüstet als im Herbst, und sie haben Verstärkung bekommen. Mit Michailo Drapati hat an der Ostfront zudem ein neuer Oberkommandierender übernommen, den Militärexperten für äusserst kompetent halten. Er kann zwar keine Wunder bewirken, hat aber eine verzweifelte Lage relativ rasch stabilisiert.
Moskaus riesige Verluste
Dazu kommt, dass die zynische Strategie der Russen, ihre Soldaten tausendfach zu opfern, um ein bisschen vorzurücken, an Grenzen stösst. Moskau muss Freiwilligen immer mehr Geld bieten, und trotzdem melden sich immer weniger. Die Verluste sind schlicht zu gross, als dass sie längerfristig tragbar wären: So schreibt der Analyst Andrew Perpetua, Russland verzeichne alleine in der Kleinstadt Torezk bereits 13 000 Tote und Verwundete.
Und auch wenn die genauen Zahlen schwer überprüfbar sind, zeigen die Statistiken des britischen Geheimdienstes, dass Russland inzwischen jeden Tag fünfmal so viele Männer verliert wie zu Beginn des Krieges. «Frontelligence Insight» publizierte jüngst eine sorgfältige Studie, die von 210 000 russischen Toten ausgeht, wobei Vermisste ausgeklammert bleiben. Auf ukrainischer Seite hat der Krieg demnach 90 000 Opfer inklusive der Vermissten gefordert. Für Kiew bleibt dieses Verhältnis ein Problem, weil Russland eine dreimal so grosse Bevölkerung hat.
Dennoch zeigen die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld, dass die Ukrainer alles andere als besiegt sind. Auch ein russischer Vormarsch stellt kein Naturgesetz dar, wie Moskau und inzwischen auch Washington argumentieren. Klar ist aber auch, dass die Risiken für die Verteidiger mit der Unterbrechung der amerikanischen Militärhilfe enorm gestiegen sind.
Sie sind zwar dank eigenen Drohnen und selbst produzierten Waffen nicht mehr gänzlich abhängig vom Westen. Doch gerade bei der Flugabwehr, der Kommunikation und den Schlägen gegen die russische Logistik hinter der Front fehlen den Ukrainern die eigenen Mittel. In spätestens einigen Monaten werden sie grosse Probleme bekommen. Dies weiss auch Putin. Er wird deshalb auf Zeit spielen, Schwächen ausnutzen und versuchen, das Misstrauen zwischen Kiew und Washington weiter anzufachen.