Der Kommunist Russell Bentley gehörte zu den bekanntesten Westlern, die 2014 für Moskau gegen die «ukrainischen Nazis» ins Feld zogen. Nun haben sibirische Soldaten den Amerikaner getötet, weil sie ihn für einen Spion hielten. Oder steckt mehr dahinter?
Russell Bentley trug nicht nur den Kampfnamen «Texas», er kam auch aus Texas. Dies wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn er sich vor zehn Jahren nicht entschieden hätte, im russisch kontrollierten Donbass eine neue Heimat zu suchen. Seither stand der 64-Jährige an der Front, machte Kreml-Propaganda und trat zum orthodoxen Glauben über. Nichts davon bewahrte Bentley vor der Ermordung durch sibirische Soldaten.
Laut seiner Frau war das Paar am 8. April in Donezk unterwegs, als in der Nähe ukrainische Artilleriegeschosse explodierten. Der Amerikaner, der für das russische Propagandamedium «Sputnik» arbeitete, fuhr zur Einschlagstelle. Ljudmila Bentley sagte, er habe Verwundeten helfen wollen, ein Vertrauter schrieb, er habe gefilmt. Doch die getroffenen russischen Panzersoldaten hätten ihn wegen seines Akzents für einen Spion gehalten.
Ein Leben voller Brüche und ideologischer Wirrungen
Der selbsternannte «Donbass Cowboy» teilt damit das Schicksal Tausender ideologisch verirrter Westler, die das Heil im Osten suchten und vom Strudel der Gewalt verschluckt wurden. So erging es bereits den westlichen Kommunisten, die in Stalins Todeslagern umkamen. Ein Kommunist war auch Bentley, aber stets betonte er: «Ich bin nicht doktrinär, ich unterstütze, was ich für korrekt und wahr halte.» Entsprechend wenig Probleme hatte er damit, sich dem imperialen Angriffskrieg einer nationalistisch-reaktionären Diktatur anzuschliessen.
Bentleys Biografie ist voller Brüche und Wirrungen. 1960 in Austin in eine wohlhabende Familie hineingeboren, brach er die Schule ab und las stattdessen Che Guevara und Ho Chi Minh. Dann diente der junge Mann drei Jahre lang in der amerikanischen Armee. Nach der Entlassung spielte Bentley mit seiner Band in den Bars der texanischen Küste. Im Donbass sang er Songs über sein «Sweet Home Neurussland» – auf Russisch mit starkem amerikanischem Akzent.
Bentley setzte sich politisch für die Legalisierung von Marihuana ein und kandidierte für den amerikanischen Senat. 1996 wurde er wegen Drogenhandels verhaftet und verbrachte fünf Jahre im Gefängnis. Kurz vor seiner Freilassung brach er aus und musste mehrere Jahre lang untertauchen. 2007 verhaftete ihn die Polizei erneut. Nach Verbüssung seiner Strafe arbeitete Bentley in einer Baumschule.
Der Texaner hasste die USA, den Kapitalismus und den Westen. Als er 2014 vom Ausbruch der Maidan-Revolution in Kiew hörte, war ihm sofort klar, dass dahinter eine jüdisch-amerikanische Verschwörung steckte. «Die westlichen Herren und ihre Oligarchen-Marionetten» hätten die Ukrainer dazu angestiftet, sich aus ihrer tausendjährigen Bruderschaft mit den Russen zu lösen.
Bentley findet im Kampf den Glauben
Zum Erweckungserlebnis, so Bentley, wurde das Video eines mutmasslichen ukrainischen Luftangriffs auf Luhansk im Juni 2014. Er habe darauf eine sterbende Verwundete gesehen. «Sie fragte mich: ‹Was machst du nun?› Und ich sagte: ‹Ich gehe hin und bringe einige der Typen um, die das gemacht haben.› Das tat ich», erzählte Bentley dem Magazin «Rolling Stone». Sechs Monate später war er im Donbass.
Auch wenn sich der Kommunist in Anlehnung an den Spanischen Bürgerkrieg gern als Teil einer «Internationalistischen Bewegung» bezeichnete, war er einer von ganz wenigen Ausländern in der Ostukraine. In einem Video beschrieb Bentley, wie er direkt an die Front gefahren sei und dort eine Kirche gegen die «ukrainischen Nazis» verteidigt habe. Das Erlebnis habe ihn später dazu animiert, zu konvertieren. 2017 heiratete er Ljudmila nach dem traditionellen orthodoxen Ritus.
Da Bentley konsequent an seiner eigenen Legende strickte, sind die Details seiner Kriegsbiografie schwer zu überprüfen. Als relativ gesichert kann gelten, dass er dem Wostok-Bataillon angehörte, in dem sich Freiwillige und russische Elitesoldaten mischten. Ob er wirklich Scharfschützengewehre und Panzerabwehrwaffen bediente, ist zweifelhaft. Immerhin war Bentley 2014 bereits 54 Jahre alt und übergewichtig. «Er schlug Holz, grub Scheisslöcher und hütete die Katze», schrieb ein ehemaliger Kamerad jüngst auf Telegram. Selbst eine mit Bentley sympathisierende russische Beamtin schrieb nach seinem Tod, sie habe nie von ihm gehört, obwohl sie oft mit dem Wostok-Bataillon gearbeitet habe.
2015 verliess Bentley die Einheit und betätigte sich fortan als Blogger. Auf Youtube und Instagram verbreitete er Bilder und Videos mit Waisenkindern und Judo-Schülern, vor Kriegsdenkmälern und Armeestellungen. Einmal übergibt er einer Frau Geldscheine für ihre kaputten Fenster.
Der Informationskrieger mit dem klischierten Donbass-Bild
Bentley behauptete 2022, er habe über 100 000 Dollar für die Menschen im Donbass gesammelt. Dies geschah über Crowdfunding-Websites, wobei das Geld direkt an ihn floss. Die wirkliche Höhe der Beträge ist unbekannt, möglicherweise nutzte er einen Teil, um sein Leben zu finanzieren. Als «Informationskrieger», so Bentley, «erreiche ich sogar die Politiker in Washington mit der Wahrheit». Lukrativ war sein «Journalismus» alleine kaum.
Die Posts wirken wenig professionell, die Texte strotzen vor Tippfehlern. Wer sich durch sie scrollt, fragt sich, ob hier ein amateurhafter Idealist am Werk ist oder ein Opportunist, der schreibt, was seine Herren von ihm erwarten. Sein Blick auf den Donbass ist jedenfalls voller Klischees: Die Kinder sind unschuldige Engel, die Frauen Schönheiten, die Männer Helden. «Wir sind Proletarier, arbeiten hart und sind weise», schreibt Bentley. Und: «Ich habe viel über die ‹russische Seele› gelernt. Ich sage nicht, dass ich eine habe, aber meine Freunde sagen es.»
2022 wurde aber auch Bentley von Moskau enger an die Kandare genommen. Zunächst verschaffte ihm das zusätzliche Sichtbarkeit. So veröffentlichte er zu Beginn der Invasion im Februar ein Video vor russischen Panzern. «Wir machen uns bereit, den Hammer niedersausen zu lassen», ruft er. «Und den schlechten Leuten reissen wir den Arsch auf.»
Da Bentleys Beiträge nun in den westlichen sozialen Netzwerken gesperrt wurden, stieg er auf Telegram um, wo er knapp 23 000 Abonnenten hatte. Zuletzt war von Individualität nur noch wenig zu erkennen: Brav verbreitete sein Kanal die offiziellen Verlautbarungen der Behörden und der Militärführung weiter. In einem der letzten Beiträge vor seiner Entführung beschwerte er sich über Artikel, die seine Kampferfahrung infrage stellten.
Die verdächtigen Tode unter Russlands Söldnern
Ob das ein zeitlicher Zufall ist, bleibt spekulativ. Dies gilt auch für die vom «Wall Street Journal» aufgeworfene Frage, ob Bentleys Tod auf die Paranoia von Soldaten, die allgemeine Rechtlosigkeit in Donezk oder eine gezielte Säuberungsaktion der russischen Geheimdienste zurückgeht. Fast zeitgleich mit ihm kam ein weiterer prominenter Blogger aus dem Westen auf der Krim ums Leben.
Sie reihen sich ein in eine lange Liste von Abenteurern und Söldnern, die seit 2014 unnatürliche Tode erlitten. «Wenn in Russland Patrioten ermordet werden, kommt die Wahrheit oft nicht ans Licht», schrieb die ultranationalistische Website «Zargrad» über Bentleys Tod. Tatsächlich spricht wenig für eine Aufklärung: So hat seine Witwe bisher nicht einmal die Leiche gesehen, Ljudmila bezeichnet ihre Situation als «unmenschlich und unerträglich».
Bekanntere Repräsentanten des Regimes vergiessen zwar Krokodilstränen über den Tod des Amerikaners. Grössere Sorgen machen sie sich über den «Reputationsverlust», den der Fall der «Volksrepublik Donezk» verschaffe. Deutlicher liesse sich kaum ausdrücken, dass sie den «Donbass Cowboy» als nützlichen Idioten betrachteten.