Fünf Monate nach der Wahl hat Österreich endlich ein neues Regierungsbündnis. Die FPÖ wird in einem «Konsens der Konstruktiven» ausgeschlossen.
Österreich wird erstmals von eine Dreierkoalition regiert werden. Am Donnerstag haben ÖVP, SPÖ und Liberale (Neos) ihr gemeinsames Programm unter dem Titel «Jetzt das Richtige tun. Für Österreich» vereinbart und der Öffentlichkeit präsentiert. Fast auf den Tag genau fünf Monate nach der Nationalratswahl wird damit in Wien voraussichtlich am Montag das neue Kabinett von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) vereidigt werden. Am Sonntag müssen die Neos-Mitglieder den Pakt allerdings in der statutarisch vorgesehenen Abstimmung noch annehmen.
«Hinter uns liegen die schwierigsten Regierungsverhandlungen der österreichischen Geschichte», erklärte Stocker im gemeinsamen Auftritt der drei Parteichefs vor den Medien. Er spielte damit darauf an, dass Anfang Jahr die Bemühungen der gleichen Parteien noch gescheitert waren, ebenso wie danach Gespräche mit der Wahlsiegerin FPÖ. Nun sei aber mit einer «zutiefst österreichischen» Suche nach Kompromissen doch noch ein Konsens der Konstruktiven gelungen, so der künftige Kanzler. Andere hätten die Zusammenarbeit verweigert und sich so der Verantwortung entzogen, erklärte er mit einem Seitenhieb auf den FPÖ-Chef Herbert Kickl.
«Es werden harte Jahre»
Alle drei Koalitionäre betonten die grosse Herausforderung angesichts der geopolitischen Lage und der Wirtschaftskrise – Österreich droht ein drittes Rezessionsjahr. «Es werden harte Jahre», sagte die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Das Land hat in den vergangenen Jahren über seine Verhältnisse gelebt und die Pandemie, die hohen Energiekosten und die Inflation vor allem mit breit verteiltem Geld bekämpft. Nun sind die Kassen leer, und um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden, hatten noch die damals verhandelnden Parteien FPÖ und ÖVP einen Sparplan im Umfang von über 6 Milliarden Euro allein für dieses Jahr nach Brüssel geschickt. Diesem Pfad hat sich nun auch das Dreierbündnis verpflichtet.
Gelingen soll das mit Kürzungen in der Verwaltung und bei den umfangreichen Förderungen für den Klimaschutz. Zudem soll wie von vielen Ökonomen gefordert der Ausgleich für die 2022 eingeführte CO2-Steuer (Klimabonus) abgeschafft werden. Die SPÖ muss auf eine Vermögenssteuer verzichten, die sie noch im Wahlkampf versprochen hatte. Für ÖVP und Neos war das stets eine rote Linie. Dafür wird die Bankenabgabe für dieses und nächstes Jahr mehr als verdoppelt, und auch Stiftungen sowie Energieunternehmen sollen mit höheren Abgaben zur Budgetsanierung beitragen. Das sind Massnahmen, die der SPÖ-Chef Andreas Babler seiner Wählerschaft verkaufen kann.
Die Sozialdemokraten werden auch den Finanzminister stellen – erstmals seit 25 Jahren. Auf die rote Haushaltspolitik darf man gespannt sein. Allerdings hatte auch die selbsternannte Wirtschaftspartei ÖVP in diesen zwei Jahrzehnten nur 2019 einen kleinen Überschuss erzielt, sie trägt damit massgeblich Verantwortung für die aktuelle Schuldenmisere. Noch offen ist, ob der künftige Kassenwart dem «Realo-Flügel» der SPÖ oder der linken Gruppe um Babler angehören wird. Derzeit ist von einem internen Machtkampf die Rede, die Entscheidung fällt am Freitag.
Eine Russland-Kritikerin wird Aussenministerin
Es ist bemerkenswert, dass die ÖVP dieses faktisch mächtigste Ministerium «opfert», um dafür weiter das ebenfalls einflussreiche Innenministerium zu bekleiden. Unter anderem an dieser Forderung war vor zwei Wochen das Bündnis mit der FPÖ gescheitert. Die Konservativen bleiben damit zuständig für die innere Sicherheit und die Migration, ebenfalls ein Schlüsselthema für die kommenden Jahre.
Gerhard Karner wird Innenminister bleiben, es ist also mit Kontinuität zu rechnen. Das bedeutet eine zumindest in der Rhetorik restriktive Politik: Karner forderte etwa im letzten Jahr Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan. Der Familiennachzug wird vorläufig ausgesetzt und das Programm enthält die Absicht, bei einem Wiederanstieg der Zahlen die EU-Notfallklausel anzurufen, um keine Asylgesuche mehr annehmen zu müssen. Österreich wird aber weiterhin im Einklang mit Brüssel und dem Europarecht agieren.
Das wird auch in anderen Bereichen gelten, denn Aussenministerin wird die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Der Prestige-Posten geht damit an die dezidiert proeuropäischen und russlandkritischen Liberalen, die Sympathien für eine EU-Armee und eine Nato-Annäherung Österreichs haben. Ein Lavieren oder eine Orientierung nach Osten, wie es unter einem Kanzler Herbert Kickl zu befürchten gewesen wäre, ist damit ausgeschlossen. Meinl-Reisinger wird sich dagegen gut verstehen mit der estnischen EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, einer Parteifreundin und scharfen Kreml-Kritikerin.
Lange umstritten war schliesslich das Justizressort: In einer FPÖ-ÖVP-Regierung hätte Bundespräsident Alexander Van der Bellen wohl auf einen unabhängigen Experten gepocht, weil Exponenten beider Parteien in Strafverfahren verwickelt sind. Nun geht das Justizministerium an die SPÖ. Ein demokratiepolitischer Fortschritt ist, dass die Regierung eine Bundesanwaltschaft einführen will, was Experten seit vielen Jahren fordern. Derzeit ist der Justizminister in öffentlich relevanten Fällen weisungsbefugt gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Die ÖVP wehrte sich jahrelang gegen eine vollständige Entpolitisierung.
Auffallend ist, dass alle Parteien Erfolge für die eigene Basis vorweisen können. Man habe sich nicht auf einen Minimalkompromiss «runterverhandelt», erklärte Stocker. Die Konservativen behalten mit den Ministerien für Inneres, Verteidigung, Wirtschaft und Landwirtschaft Zuständigkeit für ihre Kernthemen. Das Programm enthält auch einige Massnahmen, die den zuletzt gebeutelten Wirtschaftsstandort stärken sollen, etwa einen leichteren Zuzug für ausländische Fachkräfte oder das Ziel einer Senkung der Lohnnebenkosten. Auch das geplante Integrationsprogramm für Asylsuchende mit einem Sanktionsregime ist ein ÖVP-Anliegen.
Die Sozialdemokraten bekommen mit den Bereichen Soziales, Frauen, Wohnen und Kunst ebenfalls Ressorts, die für sie zentral sind. Zudem setzen sie mit der Deckelung von Mieterhöhungen eine ihrer wichtigsten Forderungen durch. Neos erhält die Zuständigkeit für Bildung und damit das «Herzensthema» der Partei, wie Meinl-Reisinger sagte. Ein liberaler Staatssekretär für Deregulierung soll ausserdem für Bürokratieabbau sorgen – nicht so rabiat wie Elon Musk in den USA, aber Potenzial ist in Österreich durchaus vorhanden.
Die vielen Staatssekretäre sorgen für Kritik
Insgesamt wird es sieben Staatssekretär geben – eine Tatsache, die bereits im Vorfeld für viel Kritik sorgte. Die Funktion wird oft genutzt, um Posten zu verteilen und «Aufpasser» in ein von einer anderen Partei bekleidetes Ministerium zu entsenden. Das zeugt weder von grossem Vertrauen noch von Sparwille. Die Zahl der Minister und Staatssekretäre beträgt damit 21, so hoch war sie zuletzt vor zwanzig Jahren. Die Regierungsbank im kürzlich aufwendig renovierten Parlament sei sogar zu klein, spottete am Mittwoch eine Abgeordnete der Grünen.
Ein wichtiger Unterschied zur scheidenden Regierung der ÖVP gemeinsam mit den Grünen ist die geringere Bedeutung, die dem Klimaschutz zugemessen wird. Er wird auch kein Klimaschutzministerium mehr geben, sondern das Thema wird wie früher wieder bei der Landwirtschaft zugeordnet. Stocker betonte zwar die Bedeutung des Klimaschutzes, er müsse aber «mit Hausverstand» umgesetzt werden.
Warum das vom Boulevard wegen der bunten Parteifarben «Zuckerlkoalition» oder in Anlehnung an die deutsche Ampel auch «Ömpel» genannte Bündnis nun doch noch gelingen dürfte, hat vor allem zwei Gründe. Die publik geworden Reformpläne Kickls schreckten das Land auf, und die vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump faktisch aufgekündigte transatlantische Allianz sorgen ebenfalls für Besorgnis. In unruhigen Zeiten brauche es staatspolitische Verantwortung, sagte Meinl-Reisinger. Die Liberalen hatten im Januar wegen fehlender Reformbemühungen den Verhandlungstisch als erste verlassen.
Nun sei möglich gewesen, was damals nicht möglich gewesen sei, erklärte die Parteichefin. Insbesondere soll es einen Mechanismus geben für eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters – das war zu Jahresbeginn ein Knackpunkt für Neos.
Ob das alles reicht für die erforderliche Zweidrittelmehrheit in der Mitgliederbefragung am Sonntag, ist offen. Meinl-Reisinger äusserte sich «sehr zuversichtlich».