Berlin und London beschliessen in einer Trinity-House-Vereinbarung eine engere militärische Kooperation und die gemeinsame Entwicklung neuer Waffen.
Der britische Verteidigungsminister John Healey sprach von einem «Meilenstein». Sein deutscher Amtskollege Boris Pistorius betonte, die Sicherheit Europas sei keine Selbstverständlichkeit mehr, weshalb es «den europäischen Pfeiler innerhalb der Nato» zu stärken gelte. Genau dies ist das Ziel des Abkommens, das Healey und Pistorius am Mittwoch unterschrieben haben und das die Umsetzung von rüstungspolitischen Projekten in allen Dimensionen (von der Luft über Land und Meer bis Weltall und Cyber) vorsieht. Über die Bühne ging die Unterzeichnung im geschichtsträchtigen Londoner Trinity House, wo eine Behörde seit 1518 über die Errichtung von Leuchttürmen wacht und das dem Vertrag zwischen London und Berlin nun seinen Namen gibt.
Vollendete Dreiecksbeziehung
Die Unterzeichnung der Trinity-House-Vereinbarung erfolgt knapp zwei Monate nach dem Antrittsbesuch von Premierminister Keir Starmer beim deutschen Kanzler Olaf Scholz. Dass dieses Treffen wenige Wochen nach Starmers Wahl erfolgte, wurde in Berlin als positives Signal aufgefasst, zumal Starmers konservativer Vorgänger Rishi Sunak erst gegen Ende seiner Amtszeit nach Deutschland gereist war. Die deutschen Sozialdemokraten und die britische Labour-Regierung stehen sich politisch näher, was die Annäherung erleichtert haben dürfte. Bis Anfang Jahr wollen die beiden Länder weitergehende Kooperationen über die Verteidigungspolitik hinaus besiegeln.
Allerdings teilen Berlin und London auch handfeste sicherheitspolitische Interessen. Da die Folgen einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus für die Nato und vor allem für die Ukraine ungewiss sind, wird derzeit wieder der Ruf lauter, Europa müsse mehr Verantwortung für die eigene Verteidigung übernehmen. Pistorius erklärte vor den Medien, angesichts der russischen Aggressionspolitik und der strategischen Hinwendung der USA zu Asien sei ein stärkeres europäisches Engagement ohnehin notwendig. Doch könnte diese Akzentverschiebung je nach Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl vom 5. November etwas schneller und stärker erfolgen, erklärte Pistorius.
Berlin und London sind bereits mit je einem bilateralen Sicherheitsabkommen mit Paris verbunden. In London heisst es, die Trinity-House-Vereinbarung solle die Dreiecksbeziehung der wichtigsten europäischen Regionalmächte vollenden und eine Signalwirkung entfalten. Nach den USA sind Deutschland und Grossbritannien die Nato-Staaten mit den grössten Verteidigungsausgaben. Und mit Militärhilfen im Umfang von rund 15 und 14 Milliarden Euro seit 2022 sind sie nach den USA die wichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine.
Auch wenn die Demokratin Kamala Harris neue amerikanische Präsidentin werden sollte, wäre es denkbar, dass künftige Hilfen für die Ukraine etwa an einem gespaltenen Kongress scheitern. Einen allfälligen Ausfall der amerikanischen Militärhilfen könnten London und Berlin bei weitem nicht kompensieren. Doch ist das Bekenntnis zur langfristigen Unterstützung Kiews explizit Teil des Abkommens. So sollen die von Deutschland gelieferten Sea-King-Helikopter mit modernen britischen Raketensystemen ausgestattet werden.
Langstreckenraketen mit grosser Reichweite
Der Vertrag sieht eine ganze Reihe weiterer Rüstungsprojekte zur Entwicklung von Waffen und Zukunftstechnologien wie Panzern und Drohnen vor. Geplant ist die rasche Produktion neuer Langstreckenwaffen, die präziser sind und eine weit grössere Reichweite haben als alle heutigen Systeme. In Grossbritannien gibt es Überlegungen zur Entwicklung neuartiger Raketen, die zur Abschreckung gegen Moskau von Deutschland aus russisches Territorium erreichen könnten.
Gleichzeitig soll aber auch die Produktion herkömmlicher Waffen intensiviert werden. Im Rahmen der Vereinbarung will die deutsche Firma Rheinmetall in Grossbritannien eine neue Fabrik zur Herstellung von Artillerierohren eröffnen, die rund 400 Arbeitsplätze schaffen soll. Weiter sollen deutsche Seefernaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeuge regelmässig von Lossiemouth im hohen schottischen Norden aus operieren, um den Nordatlantik zu schützen. Geplant sind auch gemeinsame Schulungen und Übungen der britischen und deutschen Truppen, die im Rahmen der Sicherung der Nato-Ostflanke im Baltikum stationiert sind.
Ob die vereinbarten Vorhaben langfristig Erfolg haben werden, sieht die Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations skeptisch. «Die Richtung stimmt, aber das Abkommen muss auch mit Leben gefüllt werden», sagt sie. In vielen Punkten bleibe vage, wie die beschlossenen Massnahmen umgesetzt werden sollten.
«Interessanter ist, was in dem Abkommen nicht erwähnt wird», sagt Franke. So gibt es etwa keine Passage zum Austausch von Geheimdienstinformationen. Dabei würde es der gemeinsamen Verteidigung helfen, diese untereinander zu teilen. Davon würde insbesondere Deutschland profitieren, denn Grossbritannien dürfte als Mitglied des angelsächsischen Spionagebündnisses Five Eyes in diesem Bereich deutlich besser aufgestellt sein.
Auch zur nuklearen Abschreckung steht in dem Abkommen nichts. Deutschland verfügt über keine eigenen Atomwaffen, Grossbritannien hingegen schon. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte Deutschland und anderen EU-Ländern in der Vergangenheit mehrfach angeboten, bei der nuklearen Abschreckung enger zusammenzuarbeiten. Hintergrund waren auch Aussagen Trumps, der den Schutz der Nato-Staaten offen infrage stellte. Es gab Überlegungen, einen europäischen Schutzschirm mit den Waffen Grossbritanniens und Frankreichs zu bilden.
Labour sucht Neuanfang mit Europa
Für die britische Labour-Regierung ist die Trinity-House-Vereinbarung ein erster Erfolg bei ihren Bemühungen, die Beziehungen zu den europäischen Nachbarn mit einem «Reset» auf eine neue Grundlage zu stellen. Starmer will den Brexit nicht rückgängig machen, und er strebt auch keine Rückkehr Grossbritanniens in den Binnenmarkt an. Bei einem Treffen in Brüssel vereinbarten Starmer und EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen Anfang Oktober aber Gespräche über eine Vertiefung der Kooperation unter anderem in der Sicherheitspolitik.
Ob den Worten auch substanzielle Taten folgen, ist offen. Die EU sucht in der europäischen Rüstungspolitik eine wichtigere Rolle. Und da die britische Rüstungsindustrie zu den grössten des Kontinents gehört, erschiene ein Einbezug Grossbritanniens eigentlich sinnvoll. Doch der heutige Verteidigungsfonds der EU ist eng mit dem EU-Binnenmarkt verknüpft. Darum können sich bis jetzt nur Unternehmen aus den EU- und EWR-Staaten an Ausschreibungen beteiligen, während britische Firmen nicht berücksichtigt werden. Solange sich daran nichts ändert, bleibt die europäische Rüstungskooperation hinter ihrem Potenzial zurück.