Für den Militärdienst melden sich in Dänemark jährlich mehr Freiwillige, als es Ausbildungsplätze gibt. Trotzdem will das Land die Wehrpflicht ausweiten.
Dänemark will ab 2026 die Wehrpflicht auf Frauen ausweiten. Künftig müssen sie zu den gleichen Bedingungen dienen wie Männer und können auch zwangsweise eingezogen werden, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden. Für Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bedeutet das die «vollständige Gleichstellung der Geschlechter».
Bisher absolvierten in Dänemark jährlich 4700 Rekrutinnen und Rekruten die militärische Grundausbildung, die in den meisten Fällen vier Monate dauert. Frauen dürfen sich seit 1998 freiwillig zum Dienst melden. Im letzten Jahr war ein Viertel der Rekrutierten weiblich. Wer ins Militär darf, wird jeweils am nationalen Verteidigungstag ausgelost. Die Pläne der Regierung sehen vor, die Zahl der Wehrpflichtigen ab 2026 auf 5000 zu erhöhen. Die Dauer der Rekrutenschule soll von vier auf elf Monate verlängert werden.
Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen geht davon aus, dass sich weniger Freiwillige für den Militärdienst melden werden, wenn er beinahe dreimal so lange dauert wie bisher. Falls nicht genügend Freiwillige zusammenkommen, wird per Los bestimmt, wer ein Aufgebot erhält. Die grosse Neuerung wird sein, dass künftig auch alle Frauen der betroffenen Jahrgänge an den Verteidigungstag eingeladen werden. An diesem Anlass stellen sich die Streitkräfte vor, und die Männer und Frauen werden einem Gesundheitscheck unterzogen. Sie können sich selbst einen Eindruck verschaffen, ob das Militär etwas für sie sein könnte oder nicht.
Jacob Svendsen arbeitet als Journalist und Experte für Verteidigungspolitik für die Tageszeitung «Politiken». In einem Podcast sagt er: «Die jungen Frauen, die heute nicht eingezogen werden, verfügen über ein enormes Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird.» Der Soldat der Zukunft müsse nicht im altmodischen Sinne körperlich stark und ausdauernd sein – wobei «Frauen das natürlich auch sein können». Vielmehr seien «IT-Kämpferinnen» mit technischem Können gefragt. Vom längeren Militärdienst erhofft sich Svendsen vor allem besser ausgebildete Soldaten.
Personalmangel und fehlende Ausrüstung
Die Pläne der Regierung stossen jedoch auch auf Kritik – und diese kommt in erster Linie nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, von den Frauen, sondern aus den Reihen der Streitkräfte. Laut der dänischen Sendeanstalt DR verfügte die dänische Armee im Herbst nur über drei Viertel der benötigten Unteroffiziere, just jener Personen also, die die Ausbildung der neuen Soldatinnen und Soldaten verantworten. Bereits heute wollen mehr Männer und Frauen Militärdienst leisten, als Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Unklar scheint daher, wie die Pläne umgesetzt werden sollen.
Jesper Hansen, Vorsitzender der Militärgewerkschaft CS, hält die Erweiterung der Wehrpflicht bis 2026 nicht für realistisch. Gegenüber DR sagt er: «Wir sind überhaupt nicht bereit.» Es fehle nicht nur Personal, sondern auch Ausrüstung und Infrastruktur. «Wo sollen die zusätzlichen Rekrutinnen und Rekruten untergebracht werden? Womit werden sie ausgestattet?»
Wirtschaftsvertreter befürchten Arbeitskräftemangel
Sorgen machen sich auch Vertreter der Wirtschaft. Die Erweiterung der Wehrpflicht bedeutet, dass mehr junge Däninnen und Dänen später in den Arbeitsmarkt eintreten werden. Auch das Stellenangebot innerhalb der Streitkräfte wird wachsen, wenn die Verteidigung in den nächsten Jahren noch mehr an Bedeutung gewinnt. Das hat Folgen für die Wirtschaft. Dänemarks grösster Arbeitgeberverband Dansk Industri (DI) hat berechnet, dass die höhere Zahl an Rekruten und die längere Dienstdauer die Wirtschaft 2100 Vollzeitstellen kosten werden.
Dänemark kämpft bereits heute mit einem Arbeitskräftemangel, denn die Bevölkerung wird älter. Für Steen Nielsen, der die Arbeitsmarktpolitik bei DI leitet, ist klar, dass das Land für ausländische Arbeitnehmer attraktiver werden muss: «Es ist vor allem wichtig, mehr internationale Kollegen zu haben, die die offenen Stellen unter ordentlichen Bedingungen besetzen», lässt er sich in einer Mitteilung zitieren.
Gute Erfahrungen in den Nachbarländern
Eine Wehrpflicht für Frauen kennen in Europa bis jetzt nur zwei Länder: Norwegen und Schweden. In einem Interview mit der dänischen Zeitung «Politiken» spricht Rune Wenneberg, Oberfeldwebel in der norwegischen Armee, von einem Erfolg. «Bis 2015 rekrutierten wir aus der Hälfte der Bevölkerung die besten Soldaten. Jetzt rekrutieren wir die besten Soldaten aus der gesamten Bevölkerung.» Quoten gibt es nicht. Darüber, wer am Schluss eingezogen wird, entscheiden Fähigkeiten und Motivation.
Schweden hat die Wehrpflicht 2010 abgeschafft und erst 2018 wieder eingeführt – wegen der Gleichstellung der Geschlechter. Auch Dänemarks Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen hat betont, dass die Wehrpflicht im Einklang mit den dänischen Grundwerten stehen müsse. Zugleich widerspiegle die Reform die Bedrohung, der auch Dänemark ausgesetzt sei. Ohne es auszusprechen, meinte Lund Poulsen damit zweifellos Russland.
Die Erweiterung der Wehrpflicht ist Teil eines Massnahmenpakets, mit dem das Nato-Mitglied seine Streitkräfte stärken will. Dänemark beabsichtigt, die Verteidigungsausgaben ab dem kommenden Jahr auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes zu steigern und damit die Zielgrösse der Nato zu erreichen. Investiert werden soll unter anderem in die Abwehr von U-Booten und in Flugabwehrsysteme. Allein in diesem Jahr werden 4,4 Milliarden dänische Kronen (569 Millionen Franken) für die Ukraine bereitgestellt.