Die SPD-Co-Chefin galt lange als unerschütterlich – doch jetzt gerät sie ins politische Abseits. Nach dem Absturz der Sozialdemokraten schart sich die Partei um Lars Klingbeil. Für Esken wird es eng.
Sie lesen einen Auszug aus dem Newsletter «Der andere Blick am Morgen», heute von Beatrice Achterberg, Redaktorin NZZ Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Haben Sie Saskia Esken schon einmal in einer Talkshow erlebt? Besonders einprägsam war eine Sendung mit der Co-Vorsitzenden der SPD im Herbst 2023, bei Markus Lanz. Der ZDF-Moderator ist dafür bekannt, den Finger in die Wunde zu legen – er fragte Esken, ob sie nicht fürchte, mit ihrer Partei weiter in den Umfragen abzustürzen, wenn sie die Probleme mit Zugewanderten ausblende. Esken winkte gewohnt selbstbewusst ab.
Wenige Wochen später legte sie in einer ARD-Runde nach: «Ich bin nicht sicher, ob tatsächlich die Migrationspolitik und die Migration als solche das Problem ist.» Eine bemerkenswerte Aussage. Nicht nur, weil die unkontrollierte Einwanderung schon damals zu den grössten Sorgen der Deutschen gehörte. Sondern auch, weil es aller Welt die fortschreitende Entfremdung der SPD von ihren Wählern vor Augen führte.
Kein Wunder, dass irgendwann sogar Rufe nach einem Talkshow-Verbot lautwurden – aus der eigenen Partei, wohlgemerkt. Das eigene Spitzenpersonal gab eben am laufenden Band wählervergraulende Aussagen von sich.
Reihen hinter Klingbeil schliessen sich
Wenn es eine Personifikation für die Kluft zwischen der sozialdemokratischen Regierungselite und ihren Wählern gibt, dann ist das Saskia Esken. Und doch hielt sie sich fünf Jahre lang an der Parteispitze, seit 2021 gemeinsam mit Lars Klingbeil. Das liegt auch an ihrem unerschütterlichen Talent, Kritik an sich abprallen zu lassen. Der «Spiegel» bezeichnete sie einst als «die Frau aus Stahl». In der Politik ist das eine überlebenswichtige Eigenschaft – aber irgendwann kann auch Stahl spröde werden.
Der Unmut der Genossen gegenüber Saskia Esken wächst. Nach dem historischen Absturz der SPD auf 16 Prozent formiert sich die Partei neu – um Lars Klingbeil, der gerade zum neuen Fraktionschef gewählt wurde. Zwar war auch Klingbeil mitverantwortlich für den gescheiterten Wahlkampf, doch die Basis sieht in ihm einen Hoffnungsträger. Münchens sozialdemokratischer Oberbürgermeister Dieter Reiter hat sich bereits hinter ihn gestellt. Es brauche nun «eine klare Machtposition» und eine «vernünftige Verhandlungsposition» gegenüber den Unionsparteien CDU/CSU.
Das kann man auch als verklausuliertes Misstrauensvotum gegen Esken lesen. Im Hintergrund äussern sich Abgeordnete noch deutlicher. Man kann sich sicher sein: Weitere Wortmeldungen aus der gerupften SPD werden folgen. Ob Esken auch dieses Mal die Kritik einfach an sich abperlen lassen kann? Olaf Scholz wird bald Geschichte sein, und Lars Klingbeil wird nach der Führung greifen. Für Esken bleibt dann nur noch die Rolle der Abwicklerin. Nicht einmal ein Talkshow-Verbot dürfte daran noch etwas ändern.