Der Machthaber Abdelfatah al-Sisi soll der EU Migranten fernhalten. Mit dem Milliardenpaket kauft man sich den guten Willen in Kairo – doch Skepsis ist geboten.
Die Europäische Union hat ein neues Migrationsabkommen abgeschlossen. Dieses Mal mit Ägypten, dem bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt. Dafür flog die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag in Begleitung der Regierungschefs von Italien, Griechenland, Österreich, Belgien und Zypern nach Kairo.
Allein schon die Grösse dieser Delegation durfte als Hinweis verstanden werden, wie wichtig Brüssel die sogenannte «strategische und umfassende Partnerschaft» mit dem Regime von Präsident Abdelfatah al-Sisi ist. Es geht um die Stärkung der bilateralen Beziehungen, um makroökonomische Stabilität, um Zusammenarbeit in den Bereichen erneuerbare Energie, Handel und Sicherheit sowie, vor allen Dingen, um «Migrationssteuerung».
Patrouillen in der Wüste
Der Begriff bedeutet nichts anderes als das Abfangen von Flüchtlingsbooten und das Abriegeln der libyschen Grenze. Zwar stechen derzeit vergleichsweise selten Migranten von der ägyptischen Küste Richtung Europa in See. Es gibt aber weiterhin grosse Bewegungen auf der zentralen Mittelmeerroute via Libyen. Und Sisi pflegt gute Beziehungen mit dem Warlord Khalifa Haftar, der im Osten Libyens den Ton angibt.
Das Abkommen mit Ägypten ist also grundsätzlich sinnvoll und fügt sich ein in eine Reihe ähnlicher Vereinbarungen, die die EU mit Ländern an seiner Peripherie unterzeichnet hat, etwa mit Tunesien und Mauretanien. Auch in diesem Fall verspricht Präsident Sisi den Europäern, ihnen die irregulären Zuwanderer vom Hals zu halten. Im Gegenzug erhält der starke Mann in Kairo grosszügige Wirtschaftshilfen in Höhe von insgesamt 7,4 Milliarden Euro, die bis 2027 an das nordafrikanische Land fliessen sollen.
Bei dieser Summe handelt es sich um fünf Milliarden Euro, die als Makrofinanzhilfen in Darlehen ausbezahlt werden sowie um 600 Millionen Euro an Zuschüssen. 1,8 Milliarden Euro sind vorgesehen für gemeinsame Investitionen in den Bereichen Ernährungssicherheit, grüne Technologien und Digitalisierung. Weitere 200 Millionen Euro gibt es schliesslich für «migrationsspezifische Projekte», das heisst für Grenzschutz und Rückführungsmassnahmen.
In Brüssel heisst es, dass eine Milliarde Euro sofort ausbezahlt werden könnte. Der Rest des Geldes sei gekoppelt an Reformschritte unter Aufsicht des Internationalen Währungsfonds. Für das chronisch verschuldete Land kommt die Finanzspritze wie gerufen. Ägypten braucht alleine in diesem Jahr 40 Milliarden Dollar, um seine riesigen Auslandsschulden zu bedienen. Wegen des Krieges im Gazastreifen sind viele Touristen ausgeblieben. Durch die Terrorangriffe der Huthi im Roten Meer sind zudem die Einnahmen aus dem Suez-Kanal eingebrochen.
Dabei ist die EU keineswegs der einzige Machtblock, der sich in Kairo guten Willen einkauft. Für 35 Milliarden Euro haben erst kürzlich die Vereinigten Arabischen Emirate einen Küstenabschnitt am Mittelmeer erworben, wo ein Luxusresort entstehen soll. Auch China verspricht Milliardeninvestitionen, Russland baut ein Atomkraftwerk im Land.
Wichtiger regionaler Akteur
Vorbereitet wurde das Abkommen schon im vergangenen Jahr. Durch den Gaza-Konflikt ist die geopolitische Bedeutung Ägyptens, das sich traditionell als Vermittler zwischen Israel und der Hamas versteht, noch einmal gewachsen. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die eine treibende Kraft des Abkommens war, lobte am Sonntag die Bemühungen Kairos, zusammen mit Katar und den USA den Krieg zu beenden.
Die Europäer fürchten, dass sich der Migrationsdruck noch einmal drastisch erhöht, wenn Israel seine Militärschläge auf die Grenzstadt Rafah im südlichen Gazastreifen ausweitet. Schon heute beherbergt Ägypten zahlreiche Flüchtlinge, vor allem aus Sudan.
Vorbei sind mit dem neuen Abkommen die Zeiten, in denen die EU Ägypten wegen seiner Menschenrechtsverletzungen an den Pranger stellte. Zwar versicherte auch von der Leyen in Kairo, dass ein Ziel der Vereinbarung sei, «gemeinsam an unserem Engagement zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten zu arbeiten». In Wahrheit hat sich die EU aber längst mit der Autokratie am Nil arrangiert.
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch beeilten sich denn auch, das Abkommen als Verrat an den europäischen Werten zu bezeichnen. Aus den Reihen der Grünen im EU-Parlament hiess es, der Deal sei «moralisch verwerflich und inhaltlich naiv», während der Vorsitzende der christlichdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber, die Partnerschaft mit Ägypten als «richtig und wichtig» bezeichnete, um Migrationsströme einzudämmen.
Obwohl unter den Mitgliedstaaten die Erkenntnis überwiegt, dass an einer Zusammenarbeit mit Sisi kein Weg vorbeiführt, ist Skepsis geboten, wie das Beispiel Tunesien zeigt: Trotz einem vergleichbar grosszügigen Hilfspaket bleibt die Regierung von Kais Saied als Partner unzuverlässig. Der Migrationsdruck über Tunesien hat nur unwesentlich nachgelassen. Und noch einen Punkt gilt es zu beachten: An der Migration seiner eigenen Staatsbürger nach Europa hat Ägypten durchaus ein Interesse, denn die Diaspora überweist Jahr für Jahr Devisen in Milliardenhöhe in die Heimat.