Die Partei Neos wurde einst gegründet, um das rot-schwarze «Machtkartell» zu zerschlagen. Nun stimmt sie mit überwältigender Mehrheit einer Regierung gemeinsam mit SPÖ und ÖVP zu.
Die Mitglieder der liberalen Partei Neos haben am Sonntag in Wien dem gemeinsam mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) und den Sozialdemokraten (SPÖ) ausgehandelten Regierungsprogramm mit über 94 Prozent zugestimmt. Damit ist der Weg frei für die erste Dreierkoalition der österreichischen Geschichte. Mehr als fünf Monate nach der Parlamentswahl wird am Montag die neue Regierung von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) vereidigt werden.
Die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach in ihrer Rede von einem historischen Tag für ihre Partei, die sie vor zwölf Jahren mitgegründet hatte. «Wir hatten eine Vision: Wir erneuern Österreich», sagte sie. Nun biete sich mit der ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene die Chance dazu. Man könne so sicherstellen, dass das Land stabil, proeuropäisch, weltoffen und liberal bleiben werde in den kommenden fünf Jahren.
Stets scharfe Gegner von SPÖ und ÖVP
Eine Zustimmung der Basis war zwar erwartet worden, die Deutlichkeit erstaunt jedoch. Immerhin hatten sich die Neos in den letzten Jahren stets als Reformkraft und Gegenpol zu den verkrusteten Traditionsparteien SPÖ und ÖVP positioniert. Daran erinnerte vor einigen Tagen der ehemalige Abgeordnete Gerald Loacker vom Wirtschaftsflügel der Liberalen. Die Partei sei «gegen den rot-schwarzen Stillstand und deren Korruption» gegründet worden, nicht für deren Vertragsverlängerung, schrieb er auf X.
Es gehe ihnen nicht um Posten, sondern um Reformen, betonte Meinl-Reisinger beim ersten Versuch von Verhandlungen für eine Dreierkoalition noch im Herbst. Man müsse ÖVP und SPÖ «ein Stück weit in den Hintern treten», erklärte sie im November zur Aufgabe ihrer Partei in einem solchen Bündnis.
Als die Liberalen sich zu Jahresbeginn aus den Gesprächen zurückzogen, geisselte die Neos-Chefin aufgebracht und treffend, dass es nicht gelungen sei, sich auf zukunftsgerichtete Veränderungen zu einigen. Statt des wegen des Wahlsiegs der FPÖ versprochenen «kein Weiter-wie-bisher» hätten ÖVP und SPÖ doch nur ein «Weiter-wie-immer» gewollt. Dafür stünde ihre Partei nicht zur Verfügung. Damals hiess es zuweilen auch, die Mitglieder hätten dem Ergebnis womöglich die Zustimmung versagt.
Tiefgreifende Reformen finden sich allerdings auch im nun ausgehandelten Koalitionspakt höchstens ansatzweise. Meinl-Reisinger sagte am Sonntag jedoch, seit Januar habe sich vieles verändert. Die Kompromissbereitschaft sei in den letzten Wochen höher gewesen und deshalb möglich, was damals nicht möglich gewesen sei.
Sie verwies auch auf die Pläne des FPÖ-Chefs Herbert Kickl, der bis zum Platzen von Verhandlungen mit der ÖVP vor zweieinhalb Wochen kurz vor der Kanzlerschaft stand. «Wir haben gespürt, dass es ein schneller Pfad sein kann Richtung Zerstörung einer liberalen Demokratie», erklärte Meinl-Reisinger. Deshalb sei es nötig, die Hand auszustrecken und zusammenzuarbeiten.
Die «Pinken» können auch einige Verhandlungserfolge verbuchen. Es soll ein Mechanismus geschaffen werden zur schrittweisen Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters – das war einer der wesentlichen Knackpunkte zu Jahresbeginn. Die Elementarpädagogik wird ausgebaut, und überhaupt erhalten die geplanten bildungspolitischen Massnahmen Lob von Experten. Die Neos werden auch den Bildungsminister stellen und damit für das «Herzensthema» der Partei zuständig sein, wie es Meinl-Reisinger formulierte. Sie selbst erhält mit dem Aussenministerium einen Prestigeposten. Zudem soll ein neuer Staatssekretär für Deregulierung sorgen, auch das ist ein Kernanliegen der Neos.
In der rund zweistündigen Debatte der Mitglieder, die in der Wiener Eventhalle auf die Bühne traten oder sich virtuell zuschalteten, wurden diese Punkte auch gelobt. Viele kritisierten zwar, was in dem Regierungsprogramm fehle oder man sich anders gewünscht hätte. Fast alle Redner riefen aber dennoch zu einer Zustimmung auf. Nur so könne man der Partei Rückhalt verschaffen für weitere Verbesserungen, lautete der Tenor.
Oft wurde auch erwähnt, dass es die Alternative – eine Regierung mit Beteiligung der FPÖ – zu verhindern gelte. Eine Parlamentsabgeordnete brachte die Stimmung in Anspielung auf die Parteifarbe auf den Punkt: «Würde eine pinke Monarchie anders aussehen? Ja.» Aber mitzuregieren und weiter auf Veränderungen zu dringen, sei besser, als ÖVP und SPÖ allein weiterwursteln zu lassen.
«Pink ist regierungsfit»
Dennoch findet etwa der Direktor des liberalen Think-Tanks Agenda Austria, Franz Schellhorn, die Partei riskiere mit dem Regierungsbündnis ihre Glaubwürdigkeit. Sie mache eben doch ein «Weiter wie bisher» möglich, schrieb Schellhorn in seiner wöchentlichen Kolumne in der «Presse». Die Liberalen trügen einen sozialdemokratischen Retrokurs mit, akzeptierten höhere Steuern und liessen sich mit nebulösen Sparankündigungen abspeisen, kritisiert der Ökonom.
Am Sonntag wurde jedoch deutlich, dass die Stimmung in der Partei eine andere ist. Geradezu euphorisch wurde das Abstimmungsergebnis gefeiert. Pink ist «regierungsfit», sagte eine Rednerin. Das will man nun endlich beweisen. «Die Arbeit beginnt morgen», kündigte Meinl-Reisinger an.