Eine Onlineplattform aus der nigrischen Wüstenstadt Agadez hat angeblich Informationen über den Verbleib der im April entführten Schweizerin Claudia A.
Die nigrische Nachrichtenplattform «Aïr Info» hat nach eigenen Angaben Informationen über den Verbleib der Schweizerin Claudia A. Sie war Mitte April in der Stadt Agadez im Norden des Sahelstaates Niger von Unbekannten entführt worden. Claudia A. befinde sich bei guter Gesundheit, heisst es, sie sei in den Händen des sogenannten Islamischen Staates – Sahel Provinz (ISSP) und werde im Nachbarland Mali festgehalten.
Das Medienhaus beruft sich dabei auf nicht näher genannte Quellen. Es gibt ausserdem an, ein Foto als exklusives Lebenszeichen der Österreicherin Eva G. erhalten zu haben, die am 11. Januar, ebenfalls in Agadez, von Unbekannten entführt worden war. Auf seiner Website publizierte «Aïr Info» am 29. April ein Foto der 74-jährigen Eva G.
Terrorgruppen beherrschen zentralen Sahel
Agadez liegt am Südrand des Aïr-Gebirges, «Aïr Info» berichtet also zumindest mit Kenntnis der Region; überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Gemäss den Quellen des Medienhauses sind beide Frauen über lokale «Subunternehmer», die von den islamistischen Gruppen als Mittelsmänner eingesetzt werden, an den sogenannten Islamischen Staat übergeben worden. Sie sollen sich in der Nähe von Andéramboukane im Grenzgebiet zwischen Niger und Mali aufhalten.
Tuareg aus Agadez berichteten der NZZ über Whatsapp, die Entführer von Claudia A. seien von ausserhalb der Stadt gekommen. Sie hätten sich von der Oase Ingal aus einem Konvoi angeschlossen, der die rund 160 Kilometer nach Agadez fuhr. So sei es ihnen gelungen, die zahlreichen Militärsperren zu passieren, die aufgrund der seit langem unsicheren Lage in Niger entlang der Hauptverkehrswege errichtet worden sind. Im Schutz des Konvois sei es ihnen dann gelungen, in die Stadt hineinzukommen. Die Bevölkerung von Agadez beteiligt sich an der Suche nach Claudia A. und Eva G. Die beiden Frauen waren aufgrund ihrer langjährigen Verbundenheit mit Niger und ihres humanitären Engagements sehr beliebt.
EXCLUSIVITÉ — PREUVE DE VIE DE L’AUTRICHIENNE EVA GRETZMACHER, DÉTENUE PAR L’EIGS AU MALI https://t.co/qWBYEaIjh5 pic.twitter.com/69bdIMyfaL
— Aïr Info Agadez (@AirInfoAgadez) April 28, 2025
Dass der regionale Ableger des sogenannten Islamischen Staates in Niger und Mali operiert, ist schon länger bekannt. Er ist im zentralen Sahel nicht die einzige islamistische Terrorgruppe, sondern konkurriert dort unter anderem mit dem lokalen Al-Kaida-Ableger Jama’at Nasr al-Islam wal-Muslimin (JNIM). Im Süden von Niger, im Grenzgebiet zu Nigeria, operiert zudem die in Nigeria entstandene Terrorgruppe Boko Haram.
Im Grenzgebiet zwischen Mali und Niger dominiert tatsächlich der Ableger des Islamischen Staates, insofern sind die Angaben von «Aïr Info» zumindest plausibel. Beide Terrorgruppen, also die Ableger des IS und des Al-Kaida-Netzwerks, finanzieren sich über Entführungen und die Erpressung von Lösegeld, ausserdem durch den Schmuggel von harten Drogen und Migranten.
Auffällig viele Entführungen 2025
Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Acled (Armed Conflict Location and Event Data Project), die Informationen zu Krisen und Konflikten in Afrika, Süd- und Südostasien sowie im Nahen Osten erfasst, analysiert, kartiert und in Form von Datensätzen zur Verfügung stellt, hat der Islamische Staat – Sahel Provinz in den vergangenen Wochen auffällig viele Entführungsaktionen durchgeführt und finanziert, die sich insbesondere gegen Ausländer richten. Für sie können höhere Lösegeldforderungen gestellt werden als für lokale Entführte. Neben den beiden Frauen wurden Mitte Januar vier marokkanische Lastwagenfahrer in Mali und ebenfalls Mitte Januar ein Spanier in Algerien entführt, der jedoch dank dem Eingreifen bewaffneter Tuareg rasch wieder freigelassen werden konnte.
Acled bezeichnet die Häufigkeit, mit der in den ersten Monaten dieses Jahres Ausländerinnen und Ausländer im Sahel vom ISSP entführt wurden, als «Anormalität». Die bis dahin letzte bestätigte Entführung eines Ausländers durch den ISSP war die eines deutschen Mitarbeiters aus dem humanitären Bereich im Jahr 2018. Jörg L. blieb vier Jahre und acht Monate in Gefangenschaft.
Die Zunahme der Entführungsfälle ist laut Acled womöglich dadurch zu erklären, dass der ISSP im Dreiländereck Niger – Mali – Burkina Faso mittlerweile grössere Gebiete kontrolliert und deshalb mehr Geld braucht. Zudem sei davon auszugehen, dass die Gruppe nun auch über bessere logistische Möglichkeiten verfüge, was eine Geiselnahme betreffe.
«Aïr Info» zitiert in dem Beitrag ausserdem Kinder der beiden entführten Frauen. Ihre jeweiligen Söhne hätten sich darüber beklagt, keinerlei Informationen über den Verbleib ihrer Mütter zu haben. Laut dem Medienhaus habe der in Niger lebende Sohn von Claudia A. gesagt: «Wir wissen nichts. Wir beten, dass sie noch am Leben ist.»
EDA gibt sich zurückhaltend
Das Schweizer Aussendepartement (EDA) hat am 16. April die Entführung einer Schweizerin in Agadez bestätigt, ohne den Namen Claudia A. zu nennen. Weitere Angaben über mögliche Hintergründe der Entführung machte das EDA nicht. Offiziell bezahlt die Schweiz keine Lösegelder. Dies mit der Begründung, ein Staat müsse Lösegeldforderungen ablehnen, «um nicht weitere Bürgerinnen und Bürger zu gefährden und die Täterorganisationen nicht zu stärken». Inoffiziell zahlen die Behörden wohl doch: Alt Bundesrat Moritz Leuenberger sagte 2021 in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag»: «Kommt eine Geisel frei, ist wohl meist bezahlt worden. (. . .) Aber da steht nicht Lösegeld auf dem Einzahlungsschein, sondern da werden Spesen abgebucht.»
Berüchtigt ist der Fall von zwei jungen Touristen, die 2012 in Pakistan verschleppt wurden. Der damalige Aussenminister Didier Burkhalter versicherte, es sei kein Geld geflossen. Er machte aber klar, dass eine Task-Force des Aussendepartements, des Nachrichtendienstes und mit Vertretern der Kantonspolizeien Aargau und Bern während acht Monaten im Einsatz war. Da die Kosten für solche Einsätze schnell in die Millionen gehen, kündigte Burkhalter an, eine finanzielle Beteiligung des Paares, das alle Warnungen in den Wind geschlagen hatte, zu prüfen.
Am Ende erhielten die beiden eine Rechnung über 10 000 Franken, die sie in Form von gemeinnütziger Präventionsarbeit begleichen konnten: ein Interview mit einer Fachzeitschrift und sechs Auftritte an Fachhochschulen. Botschaft: Man soll die offiziellen Reisehinweise des EDA lesen und ernst nehmen. Später schrieben die beiden ein Buch über ihre Entführung, in dem sie die offizielle Schweiz mit keinem Wort erwähnten. Sie stellten die Lösegeldverhandlungen und die angeblich ohne fremde Hilfe gelungene Flucht als Privatangelegenheit dar und erzürnten damit die Öffentlichkeit.