Die Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges in der Ukraine drohen schon in der Anfangsphase zu scheitern. Damit ein optimistisches Szenario überhaupt noch eine Chance hat, müssten sich die Europäer jetzt erheblich ins Zeug legen.
Mit dem Zusammenstoss vor laufender Kamera im Weissen Haus sind die Friedensbemühungen von Donald Trump gleich zu Beginn erst einmal bemerkenswert dramatisch aus der Spur geraten.
Selenski hat die Fassung verloren – provoziert vom Vizepräsidenten J. D. Vance. Das bot die Eröffnung für Trump, nun seinerseits dem ukrainischen Präsidenten Vorwürfe zu machen. Selenski selbst sei es, der den Frieden in der Ukraine verhindere, polterte ein sichtlich wütender Trump. Die Ukraine sei schwach, und nur amerikanische Unterstützung könne sie vor dem Untergang retten, so sein Tenor. Doch wenn Selenski nicht einlenken wolle, werde er eben diese Unterstützung entziehen.
Sichtbar wurde damit eine fundamentale Uneinigkeit. Was Trump erwartet, ist die bedingungslose Unterordnung der Ukraine. Kiew soll sein Schicksal in die Hände des amerikanischen Präsidenten legen und akzeptieren, was dieser an seiner Stelle aushandelt – und dazu noch mit Bodenschätzen bezahlen. Die «Dankbarkeit», die Trump einfordert, ist Unterwerfung ohne Gegenrede.
Für einen ukrainischen Präsidenten, der das Land durch drei Jahre Krieg geführt hat, um dessen Souveränität und Selbstbestimmung zu behaupten, ist das nicht akzeptabel.
Zudem hat Trump nichts unternommen, um Vertrauen zu gewinnen. Im Gegenteil, er behandelt die Ukrainer fast schon feindselig und nutzt jede Gelegenheit, Selenski zu erniedrigen.
Gegen diese Haltung hat Selenski im Weissen Haus äusserst undiplomatisch rebelliert. Ohne die Ukraine als Partner anzuerkennen wird es keinen Deal geben – das ist die Botschaft Selenskis. Im Gegenzug hat Trump den Druck auf Selenski nochmals deutlich erhöht und ihm den Entzug jeglicher Unterstützung angedroht. Doch Trump möchte offenbar nach wie vor einen Deal, und erwartet weiterhin, dass Selenski das Rohstoffabkommen unterzeichnet, wie er nach dem Eklat deutlich gemacht hat.
Für Selenski bleibt keine realistische Alternative, als sich dem amerikanischen Druck zu beugen. Er wird wohl die weisse Flagge hissen und irgendwie wieder mit Trump ins Geschäft kommen müssen. Das hat sich bereits in den Äusserungen Selenskis am Freitag angekündigt.
Damit liefe dann auch weiterhin alles auf Verhandlungen hinaus. Doch selbst dann wäre ein Friedensschluss keineswegs gesichert. Der Zusammenstoss im Weissen Haus hat erneut deutlich gemacht, wie schwierig die Verhandlungen werden.
Insgesamt zeichnen sich, wenn der Prozess weitergeht, drei Szenarien ab.
Szenario 1: Scheitern der Verhandlungen
Die Positionen der Ukraine und Russlands sind unvereinbar. Russland will die Ukraine beherrschen, entweder über den Weg militärischer Gewalt oder über den Weg von Verhandlungen. Die Ukraine will als souveräner Staat dauerhaft in Sicherheit vor Russland leben und ihren eigenen europäischen Weg gehen.
Keine der beiden Kriegsparteien hat im Krieg triumphiert. Stattdessen ist das Schlachtfeld seit vielen Monaten weitgehend statisch.
Russland ist bereit, den Krieg weiterzuführen. Wie lange es dies kann, ist umstritten. Zudem will Moskau die Sanktionen loswerden. Die Ukraine ist entschlossen, sich militärisch zu behaupten, ist dafür aber auf westliche Unterstützung angewiesen.
Russlands Ziel in den Verhandlungen ist es, den Landgewinn zu sichern und die Ukraine militärisch so schwach zu halten, dass Moskau in nicht allzu ferner Zukunft das nächste und letzte Kapitel seiner Eroberung der Ukraine schreiben kann: die vollständige Kontrolle über das Land. Entweder durch einen erneuten Waffengang oder durch schrittweise Subversion.
Die Ukraine ist bereit, den Verlust der Ostgebiete temporär zu akzeptieren. Sie hat verstanden, dass das Versprechen einer Nato-Mitgliedschaft von einem gegenüber Russland zögerlich bleibenden Westen nicht eingelöst werden wird. Diese beiden Punkte sind von Kiew eingepreist.
Was die Ukraine aber fordert und wovon sie nicht abrücken kann, ist die Absicherung eines neuen, in Verhandlungen erreichten Status quo. Das kann ein militärisches Engagement der Europäer in der Ukraine mit amerikanischer Unterstützung sein. Und es kann und muss bedeuten, dass der Westen die Ukraine weiterhin mit Waffen und Training unterstützt, so dass die Ukraine Streitkräfte aufbauen kann, die Russland von einem erneuten Angriff abschrecken.
Russland wird alles daransetzen, die Ukraine zu schwächen. Etwa mit der Forderung nach Neuwahlen, was eine erhebliche Schwächung bedeuten und Russland neue Druckmittel geben würde.
Vor allem aber wird Moskau das zu verhindern suchen, was die Ukraine unbedingt will und braucht, um in Sicherheit zu leben: westliche Militärhilfe, eventuell auch europäische Truppen. Ziel des russischen Krieges ist und war es ja stets, genau dies zu verhindern: die sicherheitspolitische Integration der Ukraine in den Westen.
Die dritte Partei sind die USA. Trump will vor allem, dass er derjenige ist, der ein Ende der Kampfhandlungen herbeigeführt hat. Er will mit Russland wieder zu einem partnerschaftlichen Verhältnis kommen und lukrative wirtschaftliche Beziehungen mit der Ukraine und anscheinend auch mit Russland aufnehmen.
Trump versucht nun offenbar, die Ukraine dazu zu bewegen, Russland weitgehend entgegenzukommen. Darauf deutet zumindest sein bisheriges Vorgehen hin: für Russland nur Zuckerbrot, für die Ukraine nur die Peitsche. Daran könnten die Verhandlungen bereits in diesem frühen Stadium scheitern – wenn sich Trump und Selenski nicht einig werden.
Aber auch wenn sie wieder zusammenkommen, und selbst wenn Trump Rücksicht auf ukrainische Interessen nimmt, ist ein Erfolg keineswegs sicher, nicht einmal sehr wahrscheinlich. Die Ziele und Interessen Russlands und der Ukraine bleiben unvereinbar: Souveränität und Selbstbehauptung versus Unterwerfung.
Szenario 2: Russland zieht die Ukraine über den Tisch
Ein Scheitern der Verhandlungen würde aber der Partei, die das Scheitern erklärt, erheblich schaden. Sie würde sich als unwillig gegenüber den Friedensplänen erweisen. Ein Scheitern würde auch für Trump, der sich als Dealmaker sieht, einen Prestigeverlust mit sich bringen.
Insbesondere für die Ukraine wäre es äusserst schwer, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären. Kiew muss damit rechnen, die Unterstützung der USA komplett zu verlieren und seine souveräne Eigenständigkeit ganz aufs Spiel zu setzen.
Das wäre ein GAU für die Ukraine. Immerhin war es die Biden-Regierung, die es ihr ermöglicht hat, dem russischen militärischen Druck ab Februar 2022 zu widerstehen.
Wie Europa sich in einem solchen Fall verhalten wird, ist auch nicht klar. Unter der Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und nun des britischen Premierministers Keir Starmer demonstriert es zwar diplomatische Geschäftigkeit. Doch klar ist auch, dass für die Europäer der Erhalt einer Nato, in der sich die USA engagieren, und die Vermeidung eines grossflächigen Handelskriegs letztlich Priorität haben vor dem Einsatz für die Ukraine. Einiges an Unterstützung würde wahrscheinlich weitergehen, aber wohl bei weitem nicht genug. Wenn Trump dann die Europäer mit Nachdruck dazu auffordern würde, die Unterstützung einzustellen, würde dies zu weiteren transatlantischen und innereuropäischen Verwerfungen führen.
Russland könnte sich weitaus leichter aus Verhandlungen zurückziehen. Es würde den Krieg dann wie bis anhin weiterführen. Moskau besitzt mehr Verhandlungsmacht als die Ukraine, weil es weniger abhängig von Unterstützung von aussen ist. Angesichts dessen ist vorstellbar, dass die Ukraine in ein Abkommen gezwungen wird, das es Russland leichtmacht oder zumindest nicht verunmöglicht, die Ukraine künftig zu schwächen.
Womöglich könnte Washington sogar einer Begrenzung der ukrainischen Streitkräfte und ihrer Aufrüstung zustimmen, um die Russen daran zu hindern, dem Verhandlungstisch wieder den Rücken zu kehren.
Es könnte sein, dass Kiew einer solchen Vereinbarung am Ende resigniert zustimmt, wenn Trump den Druck massiv erhöht. Eine europäische Alternative, die die Ukraine stützen könnte, steht nicht zur Verfügung. Europa selbst hat die Ukraine immer nur zögerlich unterstützt. Es bleibt militärisch schwach und ist sich strategisch uneinig.
Szenario 3: Amerika erhöht den Druck auf Russland und zwingt es zu einem akzeptablen Ergebnis
Dieses Szenario wäre das beste für die Ukraine und Europa – die Ukraine würde sich gegen Russland behaupten. Doch es ist nun noch einmal unwahrscheinlicher geworden.
Die amerikanische Seite würde über noch ungenutzte Mittel verfügen, den Druck auf Russland zu erhöhen und Moskau so zu einem für seine Ziele weniger günstigen Ergebnis zu zwingen. Zum einen wirtschaftlicher Druck durch Sanktionen. Zum anderen könnten die USA den militärischen Druck massiv steigern, indem Washington die Ukraine weitaus besser bewaffnet. Russland hätte dann keine realistische Perspektive mehr, den Krieg zu seinen Gunsten zu entscheiden.
Wenn die amerikanischen Verhandler eine glaubhafte Drohkulisse entwickeln, dann könnten sie Moskau dazu bringen, zu sagen: «Wir geben uns mit dem Erreichten erst einmal zufrieden und sehen zu, dass wir die anderen Ziele – die Kontrolle über die ganze Ukraine – in den nächsten Jahren auf verschiedenen Wegen weiterverfolgen.» Die russische Seite könnte darauf setzen, dass der Westen den Zenit seiner Ukraine-Unterstützung schon überschritten hat und dass die Rumpf-Ukraine ohnehin nicht stabil und lebensfähig sein wird.
In einem solchen Szenario würde die Stunde der Europäer schlagen. Sie müssten dann massiv in den freien Teil der Ukraine investieren, wirtschaftlich und durch den Aufbau gut ausgerüsteter ukrainischer Streitkräfte. Damit könnte sich die Ukraine dem Würgegriff Russlands dauerhaft entwinden.
Damit aber ein solches optimistisches Szenario überhaupt eine Chance hat, müssten sich die Europäer jetzt erheblich ins Zeug legen: einerseits gegenüber Trump als Advokaten der Ukraine auftreten und andererseits die Unterstützung für die Ukraine erheblich hochfahren.